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Chemnitz: Klagen allein reicht nicht!

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Gegenproteste wie hier in Chemnitz sind wichtig, strukturelle politische Veränderungen aber auch zwingend: Die demokratische Gesellschaft muss jetzt ihre Werte verteidigen.
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BTN/AAS

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, analysiert die Ereignisse um Chemnitz: Hier offenbart sich, wie weit das Projekt der rechten Sphäre gekommen ist, die nationalrevolutionäre und die sich bürgerlich gebende Rechte unter dem Banner von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zu vereinen. Nun ist erst recht die Zeit gekommen, für Menschenrechte und Demokratie aktiv zu werden.

 

Von Anetta Kahane

 

Nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz, die den Todschlag eines Mannes durch einen Flüchtling für ihre inszenierte „Wut“ missbrauchten, macht sich eine große Ratlosigkeit breit. Viele Engagierte sind verunsichert, manche wanken in ihren Haltungen, einige fragen sich, wie sie unter diesen Umständen weitermachen sollen. Die Rechten träumen derweil vom Umsturz. Sie vereinigen sich mit den waschechten Nazis, schreien ihre Gewaltfantasien lauthals durch die Straßen und die sozialen Medien. Dazwischen irren sogenannte „normale“ oder „besorgte“ Bürger umher, verkünden ihre Ressentiments und Rassismen in jede Kamera und beschuldigen wer-weiß-wen für alles, was ihnen je widerfahren ist. Die Reaktion der Landesregierung ist schwach bis vage, sie zeigt jedenfalls weit mehr Verständnis für jeglichen Rassismus als dass sie deren Betroffene zu schützen bereit ist. So sieht es gerade aus.

 

Nicht verhandelbar

Über viele Jahre wurde der Boden bereitet für das, was sich jetzt an Gewalt und Hass äußert. Rassismus und Antisemitismus brutal zu übersehen, rechte Strukturen zu ignorieren, Nazis als „unsere Jungs“ zu verharmlosen und alle Demokraten, die daran Anstoß fanden, als linksextrem zu diffamieren, das ist Alltag in dieser Region der Welt. So lange und so sehr, dass heute der Ungeist offen rechtsextremen Denkens und Handelns kaum noch in die Flasche zurückzuholen ist. Da, wo die Norm sich derart verschiebt, erscheinen Aussagen und Forderungen verhandelbar, die es in weniger rechtsextrem aufgeladenen Gegenden unter keinen Umständen wären. Nach den Naziaufmärschen in Chemnitz aber braucht es wieder Klarheit.

An einer Stelle der Stadt haben demokratische Gegendemonstranten eine Barriere aus aufgestellten Exemplaren des Grundgesetzes errichtet. Ein Symbol, gewiss. Dennoch ist das genau das die richtige Antwort. In der Verfassung sind die Grundrechte und die Menschenrechte unter keinen Umständen verhandelbar. Sie alle sind dort klar aufgeschrieben. Daran gibt es keinen Millimeter Abstriche. Gleichwertigkeit jeder Person, grundlegende Würde, Gleichberechtigung, Diskriminierungsverbot – um nur einige zu nennen. Hieran ist nichts zu verhandeln. Jeder Mensch hat Rechte, die von der Verfassung geschützt werden, ob er  nun deutscher Staatsbürgerin ist oder nicht. Und dieser Schutz, so wie die Strafverfolgung im Falle einer Straftat, obliegt dem Staat. Niemandem sonst. Rassismus ist nicht hinnehmbar, nicht entschuldbar, nicht nachvollziehbar. Es kann nicht sein, dass Deutsche mit Verweis auf irgendein soziales oder sonstiges Problem, quasi automatisch mit Rassismus reagieren und das auch noch als legitim hingenommen wird.

Das Muster erklärt sich aus den Geschichtsbüchern über die Wahlerfolge der NSdAP 1933. Es hieß, die Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise hätte eben die Nazis hervorgebracht. Diese dumme und verkürzte Rechtfertigung wirkt bis in die Gegenwart. In den 1990er Jahren lautete die Argumentation genauso. Damals war es auch die Arbeitslosigkeit, die den Hass auf „Nichtdeutschaussehende“ begründete, dann war es die Globalisierungsangst, dann die Flüchtlinge, dann die Diskussion um Rassismus, dann das „Sachsenbashing“ oder sonst irgendwas. Alles nach dem Motto: „Kein Wunder, wenn dadurch der Hass noch wächst!“ Inzwischen trifft der Hass die Demokratie selbst, ihre Vertreter und alle, die das Grundgesetzt hochhalten oder es als Barriere gegen Nazis auf die Straße stellen. Das ist frustrierend, beängstigend, ein Kampf gegen Windmühlen im Alltag der Initiativen. Doch nicht verhandelbar. Nicht verhandelbar!

 

Was neu ist

Die Bilder aus Chemnitz haben eines deutlich gemacht: Wir haben es seit diesen Aufmärschen mit einer neuen, vereinigten Rechten zu tun. Das ist neu. Das ist gefährlich. Und das hat eine Vorgeschichte.

Wer genau hingeschaut hat, wie sich die rechtsextreme Szene seit der Wende entwickelte, konnte ihre Spezifik im Osten gut erkennen. Gewiss, es gab auch Neo-Nazis im Westen, die nach der Maueröffnung mit den Ost-Nazis schneller zusammenfanden und die „Einheit vollendeten“, als es die Demokraten je konnten. Dennoch blieb die ostdeutsche Spezifik der Naziszene bestehen. Sie glichen mehr den nationalrevolutionären Bewegungen in Osteuropa als den Wehrsportgruppen irgendwo im tiefen Westen oder gar den Nazi-Opas der alten NPD. Der Geist der Nationalrevolutionäre war und ist nicht eine Sekunde am System orientiert, er will den totalen Umsturz, den nationalen Sozialismus. Diese ostdeutsche Bewegung organisierte sich in Kameradschaften, deren Ziel es war, eine kulturelle Hegemonie in das Nachwendevakuum zu tragen. Ganze Regionen wurden dadurch geprägt, Jugendliche sozialisiert, durch Gewalt Ausländer ferngehalten. Gesellschaft und Staat zeigten sich über ein Jahrzehnt hilflos oder weigerten sich, darin mehr zu sehen als ein Jugendproblem.

Diese informellen Strukturen wurden so erfolgreich, dass die NPD, die Partei der Altnazis und ihrer Kindeskinder, hier eine Chance sah. Die Nationalrevolutionäre im Osten boten ihnen ein Potential und eine Ideologie, wie weit radikaler war als ihre rechtsaußen Ideologie, die sich aber immer noch am Bürgerlichen orientierte. Man trug Hirschhornknöpfe am Lodenmantel und nicht Glatze in Kombination mit Totenkopf, Che Guevara-Shirt und Pali-Tuch. Nachdem sich die alte NPD nach langen Diskussionen entschlossen hatte, mit den Kameradschaften gemeinsam zu Wahlen auf Landes- und Kommunalebene anzutreten, färbte auch dies auf das Bürgerliche ab. Die Furcht vor der Unberechenbarkeit der neuen, radikalen und militanten Kameradschaften ließ nach - und trotz aller Konflikte entstand die Idee einer gemeinsamen rechten Strategie.

Dass die NPD für viele nicht wählbar erschien, änderte nichts am Erfolg der Idee. Während in Westeuropa nach und nach sogenannte Rechtspopulisten den Ton der Debatten prägten und Wahlerfolge hatten, blieb Deutschland vorerst ruhig. Deutschland stand zwischen dem nationalrevolutionären Druck aus Osteuropa und dem bürgerlichen Rechtspopulismus aus Westeuropa. Die NPD war jedoch nicht die Partei, die in Deutschland diese beiden Strömungen hätte zusammenbringen können. Dies ging mit Deutschlands Vorgeschichte nicht. Ebenso wenig konnten andere Parteien diese Rolle spielen. Ja, sie sahen nicht einmal, welche Gefahr auf sie zukam. Keine der demokratischen Parteien war bereit, das Ost-West Problem zu erkennen und anzuerkennen. Der Widerstand gegen eine solche Debatte hält ja bis heute an. Die Warnungen aus der Zivilgesellschaft standen den tagespolitischen Antworten im Wege. Auch wenn viele dieser tagespolitischen Maßnahmen gut und nützlich waren, griffen sie weder analytisch noch praktisch das Ost-West-Thema auf.

Dann erschien die AfD. Ihr Weg von der europakritischen Professorenpartei zur radikalen Sammlungsbewegung für rassistische und flüchtlingsfeindliche Einstellungen war kurz. In nur wenigen Jahren bewegte sie sich nach rechts, überwand Berührungsängste mit Rechtsextremen, ließ ab von strategischen Abgrenzungen gegenüber Pegida um schließlich - wie nun in Chemnitz zu sehen war – übergangslos mit offen rechtsextremen Gruppen zu kooperieren. Das ist ein historischer Moment. In Chemnitz hat sich gezeigt, was wir stets befürchtet haben. Bürgerliche Rechtspopulisten und radikale Nationalrevolutionäre haben zusammengefunden. Das hat auch eine Symbolwirkung für Europa. Hier vereinigen sich jene Kräfte, die zumindest zeitweise kooperieren. Ihr Ziel ist ein illiberales Europa mit allen Implikationen, die das bedeutet. Weniger Demokratie, mehr Kontrolle, weniger Gleichberechtigung, weniger Menschen- und Minderheitenrechte, mehr Homogenität, mehr Identitäres in Kultur und Bildung statt Universalismus und das alles auf einer rassistisch geprägten Grundmelodie. Der Zusammenschluss des aus dem Konservativen hervorgegangenen Rechtspopulismus und des unverhohlenen Rechtsextremismus mit seinem nationalrevolutionären Ursprung ist in der AfD denkbar geworden. Und wurde sichtbar auf den Straßen von Chemnitz.

Was wir beschreiben können

Noch ist diese Entwicklung nicht in der Tagesanalyse angekommen. Wir beschreiben die Situation in Sachen, anhand dessen, was wir täglich beobachten, denn nur so erklärt sich, was nun sichtbar geworden ist. Wir können erzählen, wie alles so geworden ist. Seit der Wende gibt es diese Berichte. Es gab sie sogar schon davor. Und es geht auch noch weiter zurück: dort, wo die Nationalsozialisten als Erstes gewonnen, gejubelt und gebrandschatzt haben, sind auch heute noch die Hochburgen der braunen Gesinnung. Das ist übrigens nicht nur in Sachsen so, sondern überall im Osten. Und wer sich an dieser Stelle aufregt über die Nennung des Ostens, bitte hört auf damit. Es bringt nichts, diesen Umstand zu leugnen. Das Verleugnen, Verdrängen oder gar die Konkurrenz nach dem Motto „im Westen ist es genauso schlimm“ ist Teil des Problems. Der Osten ist anders. Daran ändert weder Lokalpatriotismus etwas noch Volksverräter-Geschrei noch die Herablassung mancher Wessis, die in den Nazis nur eine Art Ostfolklore sehen können oder gar – wie bei vielen Wagenknechtlinken – eine mediengesteuerte Ablenkung von der großen, sozialen Frage. Und die freilich nur für Deutsche. Dass es im Osten mehr Rassismus gibt, ist eine Tatsache und auf die braucht es Antworten und keine Relativierung.

Wir können auch andere Aspekte erklären. Wie beispielsweise die sozialen Medien die Hetze erleichtert haben. Wir können nachweisen, wie die neue Rechte Themen besetzt, geframt und in den Mainstream gepeitscht hat. Wir konnten beobachten, wie hilflos die Medien reagiert haben, wie sehr es zu unser aller Schaden war, dass die Kapazitäten in punkto Recherche in allen Leitmedien zunächst abgebaut worden waren. Das wenigstens ändert sich gerade wieder. Doch was noch schlimmer ist: wir mussten mitansehen, wie in Talkshows und Interviews die Rechten unwidersprochen blieben, wo gezielte, kenntnisreiche, und kluge Nachfragen nötig gewesen wären. Die hohe Kunst der ernsthaften Debatte konnte man im Umgang mit den Rechten bedauerlicherweise nur selten erleben. Dass die Rechte so Interpretations- und Stimmungshoheit gewann, ist eine der Folgen dieser mangelnden Kultur kritischer Streitkultur und Nachfrage.

 

Verdrängen hat noch nie geholfen

Wir können eines grundsätzlich sagen: Es hat noch nie, nie, niemals geholfen, Probleme oder Traumata zu verdrängen. Gewiss versuchen Menschen immer wieder, ihre Konflikte durch Verdrängung zu lösen. Doch wir wissen aus der Geschichte und der Sozialpsychologie, dass dadurch nur andere aggressive Muster entstehen, dass die Konflikte verschoben werden oder an den falschen Stellen aufbrechen. Aus Verdrängung und Verleugnung entstehen schwere Deformationen. Eines sind die in jedem Fall: eine Flucht aus der Verantwortung. Die ostdeutsche Gesellschaft ist bei allem Respekt für die vielen Ausnahmen in großen Teilen stark von dem infantilen Trieb gesteuert, immer anderen die Schuld für die eigene Situation, für eigenes Handeln oder Versagen zu geben. Wer ist schuld an der Lage in Chemnitz oder anderswo? Die Presse, Frau Merkel, das Sachsenbashing, der Westen insgesamt und natürlich die Flüchtlinge. Nein, eigentlich alle Migranten. Oder noch krasser: die Tatsache, dass es überhaupt Migranten in Sachsen und in Deutschland gibt.

Die aufgebrachten Bürger gehören einer Generation an, die gewiss viel mitgemacht hat, aber es sind nicht die ganz Armen. Es sind die Kleinbürger mit ihrem Sozialneid, mit dem herzlichen Wunsch nach Ruhe und Ordnung, der schon dadurch gestört wird, dass nach 22 Uhr noch Kaffeehauslärm zu hören ist. Die gleiche Wut gilt allen, die sich nicht „anständig“ zu benehmen wissen, umso schlimmer wenn die auch noch eine Hautfarbe haben, die nicht in die Norm dieser Wutbürger passt. Und so lautstark sich diese Leute gegen Pauschalisierung verwahren (übrigens eines der ersten gut gelernten Fremdwörter nach der Wende), so hysterisch verteidigen sie ihr Recht auf Stereotypisierung mit eingeschlossenem Rassismus gegen alle anderen. Nichts tun, nur ein großes „weg damit“, ob nun Frau Merkel gemeint ist oder alle, die wie Migranten aussehen. Sonst nichts. Das ist infantil.

Sachsen ist hier ein ganz besonderer Vorreiter in Sachen Schuldige suchen und Verdrängen, denn bereits Kurt Biedenkopf hatte den Sachsen bescheinigt, dass sie gegen Rechtsextremismus immun seien. Er behauptete das umso hartnäckiger, je häufiger die Realität ihn eines Besseren hätte belehren müssen. Er gab das Muster vor und wer dem in den Jahren danach nicht folgen mochte, hatte kaum eine Chance auf eine politische Karriere im Freistaat. Leugnen, verdrängen und das auf Kosten derer, die Opfer von Rassismus wurden. Mit der DDR-Vorgeschichte wurde ähnlich verfahren. Der Nationalsozialismus und die DDR im Vergleich mündeten in der Formel Braun gleich Rot ohne jeden Kontext. So wurde man gleich beide Menetekel los, die NS-Vorgeschichte in Sachsen und ihre ambivalente Verwandlung im nachfolgenden Sozialismus, der zwar antifaschistisch sein wollte, am Ende aber genau daran scheitern musste. Denn ja, es gab Nazis in der DDR. Integrierte Mitläufer in den Parteistrukturen, einige Verurteilte in den Gefängnissen und dann noch die echten Neonazis in den Jugendclubs, einigen Strukturen wie der GST und die auf der Straße. Sie waren es, die schon zu DDR-Zeiten Ausländer jagten. Soweit es möglich war, sind heute etliche Morde durch Nazis dokumentiert. Immer wieder wunderlich, wie sehr es die Menschen verwunderte, als nach der Wende „plötzlich“ die Nazis überall auftauchten. Nein, verdrängen hilft nicht. Nicht den NS, nicht die DDR, nicht die Wendemythen.

 

Die DDR mit anderen Mitteln

Machen wir uns nichts vor, die Zahl derjenigen in der DDR, die wirklich antifaschistisch dachten, war denkbar klein. Zu ihnen gehörte die Handvoll Widerstandskämpfer, die aus dem Exil nach Deutschland zurückkamen, um hier den Sozialismus aufzubauen. Es waren nur wenige. Und dann gab es noch diejenigen, die tatsächlich antifaschistisch sozialisiert wurden und guten Herzens an Besserung glaubten. Sie lasen Christa Wolfs Bücher und manche hörten heimlich Biermann. Sie wollten, dass es funktioniert, doch auch hier sahen viele über die Widersprüche hinweg. Der DDR-Gesellschaft, hervorgegangen aus der gleichen schrecklichen deutschen Geschichte, wurde mit Verweis auf den Klassenkampf jegliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung erlassen. Verdrängen, verleugnen. Auch hier. Und der Freistaat hat dies bis heute fortgesetzt. Auf dieser Ebene verhält er sich wie die DDR mit anderen Mitteln.

Wir können auch beschreiben, was alles getan wurde, um die zivile Gesellschaft gegen das Unzivile zu stärken. Hunderte Initiativen arbeiten in Sachsen. Wir sind bei ihnen, unterstützen sie, so gut es geht, ermutigen sie, auch von der Landesregierung ausreichend respektiert und gefördert zu werden. Sie alle arbeiten tapfer gegen den Rassismus an, versuchen es mit Begegnung und Aufklärung, mit Projekten in der Jugendarbeit, der Kunst, der allgemeinen Öffentlichkeit und in den Schulen, dem wichtigsten Ort überhaupt. Die Zivilgesellschaft ist gut entwickelt in Sachsen. Aber reicht deren Schwungmasse, um den Diskurs umzusteuern? Reicht ihre Kraft und ihr Einfluss um vor Ort der Verrohung entgegenzuwirken? Was können wir tun, damit wir darauf nicht mit einem traurigen Nein antworten müssen? Es gibt Orte und Gelegenheiten, wo diese engagierten Bürger Erfolg haben. Deswegen werden wir diese Initiativen immer unterstützen. Wir werden mehr über ihre Erfolge berichten, denn in der Tat kommt diese Erzählung auch bei uns zu kurz. Das müssen wir ändern.

 

Politische Analysen stehen aus

Und es gibt noch andere Dinge, die wir besser ändern, als sie fortlaufend nur zu beschreiben. Und die haben nicht so sehr mit dem Osten zu tun. Hier geht es um zwei Dinge: die Einwanderungspolitik und die Bildungspolitik. Die Einwanderungspolitik ist eine Schande. Deutschland hat es noch immer nicht geschafft, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Dass die Stimmung gegen Einwanderer so vergiftet ist, liegt auch daran, dass Einwanderungsfragen mit Flüchtlingsfragen immer vermischt werden. Wenn Politik sich an Stammtischparolen orientiert und findet, dass Flüchtlinge besonders schlecht behandelt werden müssen, weil sie dadurch von der Flucht abgeschreckt würden, führt das dazu, dass nicht nur Flüchtlinge schlecht behandelt werden - und das führt wiederum dazu, das alle schlecht Behandelten zumindest einen weiteren Grund haben, sich auch schlecht zu benehmen. Die Stimmen aus Chemnitz sagen, sie wollen gar keine Ausländer. Dort wird nicht von Flüchtlingen geredet, sondern von allen Menschen, die den Sachsen nicht gefallen. Das ist rassistisch, aber eben auch eine gesamtdeutsche Tradition. Immer wenn Flüchtlinge derart politisch missbraucht werden, geht der Rassismus durch die Decke.

Rassismus darf aber keine Entschuldigung dafür sein, die Probleme der Einwanderungsgesellschaft zu ignorieren. Denn auch das wäre Verdrängung. Die Einwanderungsgesellschaft ist anstrengend. Wir hätten es leichter haben können, wenn einige der Weichenstellungen früher und besser getroffen worden wären. Als die „Gastarbeiter“ blieben und Einwanderung begann, wurde auch aus Gründen der Abwehr nicht genug getan, um sie und ihre Kinder offensiver zu erfolgreichen Bürgern in Deutschland zu machen. Jahrzehnte lavierten die Kultusminister an der Frage herum, ob und wie in die Kinder aus Einwandererfamilien investiert werden soll. Mancherorts ging etwas, an anderen Stellen nicht, aber ein großes Konzept hat gefehlt, weil Einwanderung zwar notwendig, aber nicht gewollt war. Das Diskriminierungsverbot ließ in Deutschland auch sehr, sehr lange auf sich warten. Bis dahin als es 2012 endlich verabschiedet wurde, war der sogenannte Alltagsrassismus längst zu einer Struktur geworden.

Wie kann es sein, dass in Deutschland zugesehen wurde, wie sich hier eine ethnische Schichtung entwickelt? Heute ist sie Realität: die meisten der Armen in Deutschland finden wir in migrantischen Milieus. Und das kumuliert in der Frage der Bildung. Das Schulsystem in Deutschland ist eine Schande. Hier wird viel zu wenig investiert, zu wenig in den Regelbetrieb und noch viel weniger in die soziale Durchlässigkeit. Dass Kinder aus Migrantenfamilien darüber hinaus noch mehr Unterstützung brauchen, ist hier nicht einmal eingerechnet. Kein Kind zurücklassen! Egal welcher Herkunft. Das ist das Motto der Initiative des „Quadratkilometers Bildung“, die es an vielen Orten bereits gibt. Ein Beispiel, wie es gehen kann. Wir wissen doch, wie es geht. Kinder brauchen Ermutigung und gute Schulen, sie brauchen Sprachkenntnisse und einen Blick auf ihre individuellen Bedürfnisse. Dann schaffen sie es, dann blühen sie auf, dann machen sie Abitur und können sozial aufsteigen. Alles keine Zauberei! Aber es muss gewollt werden.

Jugendliche, die nichts zu tun haben, als in ihren Wohnheimen oder auf der Straße abzuhängen, machen die blödesten und mitunter schlimmsten Sachen. Besonders, wenn ie mit den Belastungen einer Fluchterfahrung aus Syrien oder dem Irak kommen. Und ja, viele von ihnen sind von einem Menschenbild geprägt, dass keineswegs von Gleichwertigkeit geprägt ist. Da hilft auch der Hinweis darauf nichts, dass viele Sachsen oder viele Deutsche ebenso wenig die Gleichwertigkeit aller Menschen in ihren Herzen tragen. Das aufzurechnen führt nicht weiter. Besser wäre es, ihnen einen Job oder eine Ausbildung zu geben. Sich kümmern heißt, es anpacken, nicht verharmlosen, in die eine oder andere Richtung. Entweder wir wünschen uns eine Gesellschaft, die den Geist des Grundgesetzes wirklich mit Leben erfüllt, dann muss das für alle gelten. Oder wir fahren darin fort, immer nur weiter zu beschreiben, wie schlimm alles ist.

 

Was tun?

Was zu tun ist? Wir brauchen eine echte Agenda und nicht nur Erregungszustände. Darin enthalten sein müssen strukturelle politische Forderungen z.B. die nach einem guten Einwanderungsgesetz. Wir brauchen endlich eine Bildungspolitik, die einem Land wie Deutschland auch entspricht und weit besser ist, als das, was wir heute haben. Wir brauchen ein aktives Gegensteuern gegen soziale Undurchlässigkeit in den Bildungssystemen und eine gezielte Förderung von Einwanderern, damit sie selbst ohne Quote mehr als bisher Teil des sichtbaren, öffentlichen Lebens in Deutschland werden. das wäre ein Anfang. Und wenn der Staat nicht handelt, brauchen wir noch mehr Initiative aus der Zivilgesellschaft. Der Staat bewegt sich nur, wenn es hier genug Beispiele gibt und genügend Menschen, die sich einsetzen. Das hat bei den LGBTIQ* auch funktioniert. Gleichzeitig muss Rassismus, Sexismus und Antisemitismus offensiver sanktioniert werden, Ächtung allein ist zu wenig. Das gilt ebenso für alle, egal welcher Herkunft. Denn wer betroffen ist von Ungleichwertigkeitsideologien, ist keineswegs á priori ein guter Mensch. Frauen können ebenso homophob sein wie Schwule Rassisten oder Juden Sexisten oder Muslime behindertenfeindlich. Oder alles anders herum. Die Tatsache, dass jemand einer diskriminierten Minderheit angehört, mag bei den Motiven eine Rolle spielen, nicht aber bei der Bewertung jeder einzelnen Tat.

In all diesen Bereichen sollten wir uns auch verstärkt juristischen Rat holen und gegebenenfalls klagen. Alle Rechtsmittel sollten wir nutzen. Verwaltungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht – dafür ist der Rechtsstaat da. Wo Unrecht geschieht, muss das Recht zur Geltung kommen. Dieser Weg wird von den Demokraten noch zu wenig genutzt. Die Erfahrung zeigt, dass es mit diesem Instrument gelingt, eine Beißhemmung von Rechten zu erreichen. Und sie zeigt, dass auch Verwaltungen reagieren, wenn ihnen Fehler oder Fehlverhalten nachgewiesen werden können. Solche Schritte sind mühsam, aber sie sind ebenso wichtig wie der Umgang mit den Medien. Manchmal braucht es die Medien, manchmal einen Anwalt. Und manchmal beides gleichzeitig. Die Wehrhaftigkeit der Demokraten ist längst nicht auf dem Niveau, die der Grad und die Qualität der Auseinandersetzung um die Substanz der Demokratie erfordert.

Auch das ist eine wichtige Forderung, die wir an uns selbst, die Justiz und die Öffentlichkeit stellen sollten. Dazu gehört in jedem Fall der Kontext und die Verhältnismäßigkeit in der Debatte darum. Ein ideologischer Missbrauch lässt sich nur verhindern, wenn wir immer genau sind. Wir können nur überzeugend sein, wenn wir diese Verhältnismäßigkeit selbst leben und uns für sie einsetzen. Und wir müssen unsere Geschichten nach vorne bringen. Die guten Storys, die Erfolgsgeschichten brauchen mehr Platz und wir müssen sie kennen. Denn es gibt sie alle. Mit anderen Worten: statt nur zu beschreiben, sollten wir präziser handeln. Denn alles ist besser als zu verharren. Wir sollten den Drachen zu reiten, als ihn nur von Ferne zu beschreiben und dann nur noch mehr zu fürchten.

 

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Kindertagesbetreuung in Zeiten rechtspopulistischer Mobilisierung

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Titelbild der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik".
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Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus

Wie umgehen mit rechtspopulistischen Äußerungen von Eltern oder Erzieher*innen? Was tun, wenn Rechtspopulist*innen gegen eigene Projekte oder Vielfalterziehung hetzen - und dabei große Reichweiten erzielen? Empfehlungen der "Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus" der Amadeu Antonio Stiftung finden sich in der neuen Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik".

 

Von Enrico Glaser und Judith Rahner, Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus

 

Die Vorstellung, dass Menschen nicht gleichwertig sind, ist die Grundlage für Abwertungen und das ideologische Fundament extrem rechter Haltungen. Auch im Arbeitsfeld der Kindertagesbetreuung spielen Vorstellungen von Ungleichwertigkeit bereits eine Rolle, in Diskussionen im Team, in der Arbeit mit Eltern, aber auch in der frühkindlichen Pädagogik. Ungleichwertigkeitsvorstellungen können sich sehr unterschiedlich äußern: Sie reichen von glasklaren rassistischen Abwertungen bis hin zu Äußerungen, die angeblich nur »falsch verstanden wurden«, als »kritisch« daherkommen und gegen »die Anderen« hetzen. Sie sind als »Sorge« getarnt, mit populistischen Sprüchen gegen »die da oben« verbunden oder werden mit zunächst harmlos klingenden Wörtern zum Ausdruck gebracht, die aber aus dem Jargon der Neuen (oder alten) Rechten stammen und denen eine zutiefst menschenverachtende Haltung zugrunde liegt.

Dabei sind natürlich nicht alle geäußerten Sorgen per se unbegründet und alle unüberlegten Äußerungen immer rassistisch motiviert. Wenn jedoch Ungleichwertigkeitsvorstellungen dahinter stehen und damit transportiert werden, muss reagiert werden. Denn diese vergiften das soziale Klima in den Einrichtungen. Die Grenze des Sag- und Denk- und damit auch Machbaren verschiebt sich. Ein Nichtumgang und Wegsehen kann Türöffner für weitere menschenfeindliche und rassistische Agitationen und Akteur*innen sein.

Abwertungen und Ausschlüsse verhindern zudem einen gleichwertigen Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe für alle Kinder. Das Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Religion, Herkunft oder des Geschlechts ist durch die UN-Kinderrechtskonvention geregelt. Seit 2010 sind verbriefte Kinderrechte auch in Deutschland verbindlich und gelten für alle in Deutschland lebenden Kinder – auch für jene mit Fluchterfahrung, mit muslimischen Eltern und für intergeschlechtliche Kinder oder jene mit zwei Vätern. Diskriminierung und Ungleichwertigkeit in der Kindertagesbetreuung zu verhindern und Institutionen bewusst und gezielt für Kinder mit vielfältigen Lebens- und Familienrealitäten zu öffnen und zu professionalisieren, ist wichtig und notwendig, um Kinderrechte in die Praxis umzusetzen. Damit lassen sich nachhaltige Teilhabe und Chancengerechtigkeit ermöglichen.

Rechtspopulistische Herausforderungen machen neue Gegenstrategien notwendig

Wege zur Stärkung frühkindlicher Bildungseinrichtungen als Orte demokratischer Früherziehung und zur Prävention von Diskriminierung sind vielfach in der Fachliteratur beschrieben. Wie ein demokratischer Umgang mit Rechtsextremismus in diesem Arbeitsfeld aussehen kann, haben wir in der Publikation»Demokratie ist kein Kindergeburtstag«  (Link zum pdf) dargelegt. Diese Phänomene besitzen nach wie vor Relevanz.

Darüber hinaus gibt es nun mit der Ausbreitung von Rechtspopulismus, mit rassistischen Debatten um Flucht und Asyl sowie weit verbreiteten Feindlichkeiten gegenüber geflüchteten Menschen neue, drängende Herausforderungen für das Arbeitsfeld Kita. Zusätzlich ragen neue Themen, wie die Angst vor einer Indoktrination bzw. »Frühsexualisierung unserer Kinder«, also die Ablehnung von Sexualpädagogik und Bildung zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, oder eine befürchtete »Islamisierung des Abendlandes« in das Arbeitsfeld Kita hinein.

Die vorliegende Publikation nimmt vor allem diese neuen Herausforderungen in den Blick, die durch Demokratie- oder Diversity-Pädagogik bzw. eine Pädagogik der Vielfalt allein nicht bearbeitet werden können. Aus der umfangreichen Beratungspraxis der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus wird deutlich: Der Umgang mit menschenfeindlichen Argumentationen oder rassistischen, antisemitischen und vielfaltsfeindlichen Einstellungen und Handlungen  rechtspopulistischer Akteur*innen im Kita-Alltag erfordert eine klare menschen- und kinderrechtsorientierte Haltung von Seiten aller in dem Arbeitsfeld Tätigen sowie eine gezielte Entwicklung und konsequente Umsetzung von Gegenstrategien.

 

Fünf Fallbeispiele aus der Praxis

Folgende fünf bekanntere Fälle aus den Medien verdeutlichen die Bandbreite gegenwärtiger Problemlagen, mit denen wir in unserer Beratungspraxis konfrontiert werden. Sie illustrieren die aktuellen Rahmenbedingungen und das gesellschaftliche Klima exemplarisch.

 

Beispiel 1: Rechtsextremismus in der Kita

Am 29. November 2011 wird die Ehefrau von Ralf Wohlleben, der als Unterstützer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im NSU-Prozess in München zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde, fristlos gekündigt. Sie hatte im Jenaer Ortsteil Kunitz in einer privaten Kindertagesstätte gearbeitet. Durch die Festnahme wurde bekannt, dass Frau Wohlleben bis 2009 selbst Mitglied der NPD und zeitweise gar Schatzmeisterin im Kreisverband Jena war. »Die 31-Jährige galt als qualifizierte Betreuerin, von den Eltern geschätzt und bei den Kindern beliebt«, berichtet Julia Jüttner bei Spiegel Online. Frau Wohlleben klagt gegen die Kündigung und einigt sich später mit ihrem früheren Arbeitgeber. 

Rechtsextreme Erzieher*innen – auch solche mit einer aktiven Funktion für die verfassungsfeindliche NPD – sind keine Einzelfälle. Ihnen begegnet man nicht nur zufällig im Arbeitsfeld. Kindergärten und den frühkindlichen Erziehungsbereich als Aktionsraum zu wählen ist seit jeher eine gezielte Strategie von Rechtsextremist*innen, um Einfluss auf die kommende Generation zu nehmen. Häufig bleiben sie dabei – wie im vorgestellten Fall – von ihren Kolleg*innen, Vorgesetzten und anderen im Arbeitsfeld Tätigen unbemerkt. Dabei kommt Frauen das in der Wissenschaft vielfach beschriebene Phänomen der »doppelten Unsichtbarkeit« zugute: Frauen werden gesellschaftlich per se als unpolitischer, »friedfertiger«, weniger aggressiv und gewaltbereit angesehen als Männer. Ihre politische Einstellung oder ihr Weltbild wird dabei oft nicht ernstgenommen oder unterschätzt. Diese stereotype Wahrnehmung verschärft sich in extrem rechten Milieus. Da Frauen eine rassistische oder menschenverachtende Ideologie und ein rechtsextremer politischer Aktivismus weniger zugetraut wird, können sie sich in sozialen Sphären – wie im Kindergarten – unbemerkt bewegen und »nebenbei« menschenverachtenden Ideen verbreiten. Das gilt auch für in Elternvertretungen aktive Mütter. 

 

Beispiel 2: Kita und feindliche Stimmung gegen Menschen auf der Flucht

Doch die Beschäftigung rechtsextremer Funktionär*innen oder von Unterstützer*innen von Rechtsterrorist*innen als Erzieher*innen in Kitas ist nur die Spitze des Eisbergs. Sehr viel verbreiteter und virulenter sind rassistische, flüchtlings- und islamfeindliche Einstellungen und Äußerungen von Menschen, die nicht unbedingt rechtsextremen Szenen zugeordnet werden. Eine Vielzahl von Beratungsanfragen zeigen, dass diese auch im Kitaalltag sehr häufig zu finden sind und von Kindern, Eltern, Angehörigen, Erzieher*innen oder Vorgesetzten geäußert und vertreten werden. Debatten werden heftiger und zugespitzter, wenn in der Nachbarschaft eine Unterkunft für geflüchtete Menschen errichtet wird oder wenn Kinder und Eltern mit Fluchtgeschichte einen Betreuungsplatz bekommen (sollen). Oftmals zeigt sich dann in den in der Kita geführten Diskussionen, dass es nicht einfach nur um (un-)berechtigte Sorgen von Eltern oder Erzieher*innen geht, sondern diskriminierende und auch menschenverachtende Positionen geteilt werden, die Kinderrechten oder dem ethischen Selbstverständnis eines frühkindlichen Erziehungsbereichs entgegenstehen. In einigen Beratungsfällen zeigt sich zudem, dass örtliche Vertreter*innen rechtspopulistischer oder rechtsextremer Gruppierungen die Debatten anheizen und für ihre Agenda instrumentalisieren. In diesen polarisierten Debatten gilt es, sich innerhalb und außerhalb der Kita menschenrechtsorientiert zu positionieren.

Dazu ist es dringend erforderlich, dass Fachkräfte Strategien, Erzählungen und Mythen extrem rechter Akteur*innen (er-)kennen, um diesen begegnen zu können, wie der folgende Fall zeigt:

 

Ein Kindergarten in der Nähe von Lüneburg teilt Ende Januar 2016 in einem Aushang mit, dass »aufgrund der nachvollziehbaren Sorge einiger Eltern, einen männlichen Syrer bei uns zu beschäftigen«, der Mann doch nicht eingestellt werde. Die Kita-Leiterin habe damit auf zum Teil heftige Vorbehalte von Eltern reagiert, heißt es auf Nachfrage der Presse. Die evangelische Kindertagesstätte wollte den syrischen Flüchtling befristet als sogenannte Ein-Euro-Kraft einstellen, mit der Betreuung der Kinder hätte er nichts zu tun gehabt. Das führte dennoch zu heftig geführten, polarisierten Diskussionen: Auf der einen Seite reagierten mehrere Eltern ablehnend bis rassistisch und äußerten Ängste um ihre Kinder. Auf der anderen Seite empörten sich nun andere Eltern über die Entscheidung der Kita-Leitung, fotografierten den Aushang und stellten das Foto ins Netz. Auch Kirche und Diakonie in Niedersachsen reagieren empört und distanzieren sich von dem Schreiben (vgl. Süddeutsche Zeitung).

 

Als 2015 mehr Menschen nach Deutschland flüchteten, gab es neben einer breiten Willkommenskultur und gesellschaftlichen Debatten zum Thema Flucht und Asyl auch einen rasanten Anstieg rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Stimmungsmache. In zahlreichen Demonstrationen und einem massiven Anstieg von gewalttätigen Angriffen auf geflüchtete Menschen und deren Unterkünfte entlud sich die feindselige öffentliche Debatte. Ein wichtiges mobilisierendes Feindbild stellte und stellt dabei der Mythos des »übergriffigen Fremden« dar, der eine Gefahr für »unsere Kinder« oder »unsere Frauen« sei – ein Mythos, den vor allem rechtpopulistische bis rechtsextreme Akteur*innen gezielt verbreiten, um Angst zu schüren. Mit dieser rassistischen Erzählung ist bereits zur Zeit vor und während des Nationalsozialismus gegen Juden und Schwarze gehetzt worden. Es ist also kein Zufall, wenn heute die extreme Rechte ebenso Sorgen um Kinder und Frauenrechte rassistisch instrumentalisiert. Der Fall aus Niedersachsen zeigt, wie sich diese Stimmungsmache auch in Kitas, unter Eltern und über soziale Medien schnell aufschaukeln kann. In diesem Fall ist der Leidtragende ein Arbeitssuchender aus Syrien. Über dessen Qualifikation wird nicht gesprochen, sondern darüber, dass er männlich und geflüchtet ist. Um derartige Eskalationen und Diskriminierungen zu verhindern, ist es wichtig, dass Handlungskonzepte bereits präventiv ausgearbeitet sind, um auf konkrete Situationen und eventuelle Stimmungsmache im Sozialraum vorbereitet zu sein.

 

Beispiel 3: Kita und rechtspopulistische Akteur*innen

Für den 17. November 2017, den sogenannten »Bundesweiten Vorlesetag«, hatte die veranstaltende Stiftung Lesen auch Politiker*innen der Alternative für Deutschland (AfD) aufgefordert, sich zu beteiligen. Ziel des Aktionstages ist es, Kinder fürs Lesen zu begeistern, u.a. in Kindergärten. Die Einladung sorgte für Empörung. Zwar hätte man in den vergangenen Jahren die NPD ausdrücklich von den Einladungen ausgeschlossen, da diese »nachweislich verfassungsfeindlich und undemokratisch« sei. Bei der AfD wollte die Stiftung Lesen diesen Schritt aber nicht vollziehen. Der deutsche Schriftstellerverband PEN sah das anders: »Die Grundsätze der AfD, die sich gegen die bestehende kulturelle Vielfalt und Toleranz richten«, sind »nicht vereinbar mit den an Schulen und Kitas vertretenen und unsere Gesellschaft bereichernden Leitbildern.« (Vgl. Spiegel Online)

 

Das Beispiel zeigt, dass eine selbstverständliche Abgrenzung, die gegenüber der rechtsextremen NPD besteht, gegenüber der Alternative für Deutschland nicht vorhanden ist. Obwohl auch Vertreter*innen dieser Partei rechtsextreme, rassistische und antisemitische Inhalte verbreiten und die AfD immer wieder Werte der offenen, solidarischen und demokratischen Gesellschaft zur Diskussion stellt oder diese Ideen zumindest in ihren Reihen duldet. Als demokratisch gewählte Partei und in der Selbstdarstellung als »gewählte Volksvertreter« hat die AfD selbstverständlich Zugang zu Podien, Medien und zu öffentlich geförderten Einrichtungen der Bildungs- und Erziehungsarbeit. Die Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft besteht darin, dass sie dort auch eine Normalisierung rassistischer, antisemitischer und antifeministischer Positionen vorantreibt. Diese Inhalte dürfen und müssen Kitas allerdings nicht akzeptieren. Solche Positionen stehen international verbrieften Kinderrechten, dem demokratischen Erziehungsauftrag und, sofern es ein solches gibt, zumeist auch dem Leitbild der Einrichtungen fundamental entgegen. Nicht zuletzt stellt die AfD die Arbeit von Kitas grundsätzlich in Frage, wenn sie sich gegen die »Fremdbetreuung« durch Kitas ausspricht. Es ist also notwendig, sich innerhalb des Teams, der Einrichtung und des Trägers eine Haltung zu menschenfeindlichen und extrem rechten Inhalten und deren parteipolitischen Vertreter*innen in der eigenen Region zu erarbeiten.

 

Beispiel 4: Kita in Zeiten rechtspopulistischer Mobilisierungen

Die neurechte und islamfeindliche Bewegung »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« und ähnliche Akteur*innen machten Ende Oktober 2017 in Sozialen Medien gegen die Neugestaltung eines Spielplatzes in Berlin-Neukölln als »Orientalische Burg mit Basar« mobil. Anstoß erregte vor allem ein Holzturm im Sandkasten, der oben einen Halbmond trägt. Die AfD-Fraktion stellte daraufhin in der Bezirksverordnetenversammlung den Antrag, »religiöse Symbole von öffentlichen Spielplätzen zu entfernen und zukünftig fernzuhalten«. Ausgedacht hatte sich die Idee für den Spielplatz die Leiterin der nahe gelegenen Kindertagesstätte »Ali Baba und seine Räuber«, unter Einbeziehung der Kinder (vgl. Tagesspiegel).

 

Ein Spielplatz, gestaltet nach einem Motiv aus der Märchensammlung »Tausendundeine Nacht«, ruft Menschen auf den Plan, die eine »Islamisierung« vermuten. Sie fürchten einen kämpferischen Angriff »des Islam« auf eine imaginierte »europäische Kultur« – in diesem Fall subversiv auf einem Kinderspielplatz. Die Verschwörung von einer bewussten oder gar gesteuerten »Islamisierung« Europas ist eine zentrale Erzählung rechtspopulistischer und neurechter Bewegungen. Die Kitaleiterin findet sich mit ihrem partizipativ erarbeiteten Vorschlag plötzlich in einer heftigen öffentlichen Diskussion wieder, die in weiten Teilen islamfeindlich und rassistisch geführt wird und in der sie und weitere Personen zudem öffentlich diffamiert und beleidigt werden.

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie schnell rechtspopulistische Dynamiken und Mobilisierungen in extrem rechten Kreisen angestoßen und von dort aus verbreitet werden und mit welcher öffentlichen Wucht sie auch den Kita-Alltag treffen und Mitarbeitende unter Druck setzen können.

 

Beispiel 5: Geschlechtervielfalt und die »Mitte der Gesellschaft«

Im Februar 2018 titelt die Berliner Zeitung (BZ): »Berliner Senat verteilt Sex-Broschüre für Kita-Kinder«. Gemeint ist eine Broschüre, die von der Bildungsinitiative »Queerformat« und dem Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) herausgegeben und vom Berliner Senat finanziert wurde. Die Handreichung »Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben« richtet sich nicht an Kinder, sondern an Fachkräfte, Teams und Einrichtungen der frühkindlichen Bildung. Sie bietet Ideen und Hilfestellungen, wie die Einrichtungen sich mit den Vielfaltsdimensionen Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung beschäftigen können. Die Berliner CDU will die Verteilung der Broschüre stoppen, da »Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt nicht in Kindertagesstätten gehörten«, die AfD bezeichnet sie als »Sex-Broschüre« (vgl. Tagesspiegel) im »fragwürdigen Trend zur Hypersexualisierung« (vgl. B.Z.). Queerformat verweist in einer Stellungnahme darauf, dass die Veröffentlichung Geschlechtervielfalt und Familienvielfalt im Kontext von Menschenrechten und insbesondere Kinderrechten thematisiere. 

 

Kindern Geschlechtergerechtigkeit und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Lebensweisen zu vermitteln, ist Teil des Erziehungsauftrags. Das Erlernen einer demokratischen Haltung, z.B. vermittelt durch Methoden der Vielfaltspädagogik, ist zentral, um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder sexuellen Orientierung zu verhindern und um inter- und transgeschlechtliche Kinder zu empowern. Zudem ist für viele Kinder das Aufwachsen in Regenbogenfamilien gelebte Realität und sollte damit auch gelebte Normalität in der Kita sein. Rechtspopulistische, neurechte oder religiös-fundamentalistische Gruppierungen hetzen gegen die Vermittlung von Vielfalt mit diffamierenden Wörtern wie »Genderismus«, »Genderwahn« oder eben »Frühsexualisierung«. Gemeint ist eine angebliche »Umerziehung unserer Kinder«, die dann nicht mehr »richtige« Mädchen oder Jungen sein dürften. Verbunden sind damit antifeministische, aber auch homo-, inter- und trans*feindliche Positionen. Und die sind hochgradig anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte: Gender-Themen sind eine wichtige Klammer im rechtspopulistischen Spektrum und eignen sich für emotionale Debatten – gerade mit Bezug auf Kinder. Diese Themen sind aktuell sehr relevant. Für die Praxis bedeutet das, eine geschlechterreflektierende Perspektive zu stärken, sich eine gemeinsame Haltung zu erarbeiten und auf entsprechende Vorwürfe, die nicht selten durch Elterninitiativen vorgebracht werden, fachlich professionell zu reagieren.

 

Sensibilisieren, positionieren und professionell agieren

Seit 2015 muss eine starke Zunahme rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Stimmungen auch jenseits des rechtsextremen Spektrums beobachtet werden. Repräsentative Bevölkerungsstudien und Umfragen weisen auf den massiven Umfang an Vorurteilen und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der sogenannten Mitte der Gesellschaft hin. Debatten um Hate Speech in den Sozialen Medien zeigen, wie unverhohlen und offen gegen politische Gegner*innen, Demokrat*innen und sogenannte »Gutmenschen« – Journalist*innen, Geflüchtete, Muslim*innen oder Feminist*innen – gehetzt wird. Menschenfeindliche und für ganze Bevölkerungsgruppen herabwürdigende Positionen werden mittlerweile in Landesparlamenten und sogar im Bundestag vertreten. Zu dieser besorgniserregenden Entwicklung kommt, dass sich Fachkräfte in Kitas nicht mehr sicher sein können, ob sie im Kolleg*innenkreis mit einer demokratischen Haltung zum Beispiel zum Menschenrecht auf Asyl oder zur Gleichwertigkeit aller Menschen noch in der Mehrheit sind. Eine Normalisierung menschenfeindlicher Einstellungen sowie neue Themenfelder fordern die pädagogischen Fachkräfte in Kitas heraus. Eltern bringen ihre unter Umständen menschenfeindlichen Positionen vehementer ein als noch vor wenigen Jahren, und Soziale Medien stellen dafür Resonanzräume dar und setzen Dynamiken in Gang, die aggressiv und unübersichtlich sind. Fachkräfte berichten von einer Zunahme von Konflikten mit Eltern, von einer Verschärfung der Tonlage, von Bedrängen bis hin zu Bedrohungen. Fachkräfte müssen sich hier im Sinne des verbrieften Rechts der Teilhabe und der demokratischen sowie menschen- und kinderrechtlichen Ausrichtung ihrer Einrichtung positionieren.

Mit der Handreichung wollen wir Hinweise dafür geben und aufzeigen, wie im Arbeitsfeld Kindertagesbetreuung gegen Demokratie- und Menschenfeindlichkeit, gegen Abwertungen und Rechtsextremismus gehandelt werden kann. Zunächst werden detaillierte Fallanalysen vorgestellt und Handlungsmöglichkeiten auf den Ebenen der Arbeit mit Kindern, mit Eltern und im Team abgeleitet. Daran schließen sich unterschiedliche Perspektiven auf das Themenfeld von im Arbeitsfeld professionell Tätigen an: geschlechterreflektiert, antirassistisch, antisemitismuskritisch und vorurteilsbewusst sowie kinderrechte- und bedürfnisorientiert, wertschätzend und positioniert. Den Abschluss der Handreichung bilden Verweise auf Hilfs- und Beratungsangebote.

 

Zu den Autor*innen:

Die »Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus« der Amadeu Antonio Stiftung berät und schult mit einem besonderen Fokus auf Gender bundesweit Zivilgesellschaft, Politik, Jugendarbeit, Bildungseinrichtungen und Medien im Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF): Was bedeutet die Arbeit zu GMF konkret in der Praxis? Wie kann hier auf den aktuellen gesellschaftlichen Rechtsruck und das Erstarken völkischer Positionen reagiert werden? Warum können Menschen sowohl Diskriminierte als auch Diskriminierende sein? Welche Rolle spielt Geschlecht bei abwertenden Einstellungen und Äußerungen? Warum sind die Themen Feminismus, Gender oder Geschlechtergerechtigkeit Feindbilder bei rechten Akteuren, werden von ihnen aber auch instrumentalisiert und wie erkenne ich das? Die Fachstelle entwickelt geschlechterreflektierte Handlungsstrategien in der Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen von Ungleichwertigkeit für die Demokratie- und Präventionsarbeit, bietet Beratungs- und Fortbildungsangebote, stößt Fachdiskurse an und unterstützt den Transfer zwischen Praxis und Wissenschaft.

Mehr Infos unter:

 

Inhalte der Fachstelle auf Belltower.News 
 

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Handlungsmöglichkeiten in der Praxis: Rassistische Äußerungen von Kita-Kindern

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Was tun, wenn Kinder in der Kita rassistische Sprüche der Eltern in der Kita wiederholen? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis

Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg). Beide sind freie Mitarbeiterinnen der Fachstelle
Gender, GMF und Rechtsextremismus.

Die Fälle und Handlungsmöglichkeiten gliedern sich auf verschiedene Ebenen: Pädagogisches Handeln mit Kindern, Elternarbeit sowie professionelles Handeln im Team und beim Träger.

 

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

 

Fall I.1: »Morgenkreis«

 

Sie arbeiten als Erzieher*in in einer Kita. Sie erleben im Morgenkreis, dass ein 5-jähriges Kind sich weigert, ein anderes Kind im Kreis anzufassen. Das Kind »begründet« dies mit der Aussage: »Ich mag keine Asylantenkinder«.

 

In unserer Beratungspraxis begegnet es uns sehr häufig, dass in solchen Fällen zu allererst das Kind Aufmerksamkeit erhält, von dem die Diskriminierung ausgeht. Es wird gestoppt, zurechtgewiesen. Hierbei jedoch gerät das betroffene Kind aus dem Blick. Es ist wichtig, unmittelbar und verlässlich auf Diskriminierungserfahrungen zu reagieren – und zwar so, dass das betroffene Kind erfährt, dass das, was passiert ist, nicht ok bzw. ungerecht ist und dass es keine Schuld dafür trägt. Das Kind muss sich durch die*den Erzieher*in geschützt fühlen. In dem konkreten Fall kann es zum Beispiel sehr sinnvoll sein, wenn Sie sich als Erzieher*in unmittelbar an die Seite des Kindes setzen, es an die Hand nehmen und den Kreis schließen.

Im zweiten Schritt wichtig: Reden Sie mit der ganzen Gruppe. Mit wenigen Worten sollte klar und deutlich werden, dass solch ein Verhalten verletzend ist. Es verstößt gegen die Regeln, die alle gemeinsam ausgehandelt haben über den Umgang miteinander. Kein Kind darf mutwillig verletzt, abgewertet und ausgeschlossen werden. Grundsätzlich darf jedes Kind so sein, wie es ist – wenn es mit seinem Verhalten andere nicht verletzt oder begrenzt. Wichtig ist ein solidarisches, also sich gegenseitig unterstützendes Miteinander.

Mit dem Kind, von dem die Diskriminierung ausgegangen ist, führen Sie zeitnah ein Einzelgespräch. In einem ersten Schritt fragen Sie nach den Gründen des Verhaltens und nach dem Verständnis des Wortes »Asylantenkinder«. Motivieren Sie das Kind, einen Perspektivwechsel einzunehmen und fördern Sie Empathiefähigkeit: Wie würdest Du Dich fühlen, wenn so mit Dir umgegangen wird? Ist das Kind bereits in der Vergangenheit durch diskriminierendes Verhalten aufgefallen, sollte dem Kind noch einmal sehr deutlich vermittelt werden, dass solch ein Verhalten nicht erwünscht ist.

Sowohl die Erziehungsberechtigten des betroffenen Kindes als auch die Erziehungsberechtigten des tätlichen Kindes sollten am selben Tag (ggf. beim Abholen des Kindes) kurz über den Vorfall und ihre Art der Intervention informiert werden. Ein Gesprächsangebot sollte unterbreitet werden (siehe die Ausführungen zur Elternarbeit im Folgenden).

Der zeitnahe Austausch zum Vorfall im Team ist wichtig. Es sollte – neben den bereits erwähnten Fragen des Umgangs mit Diskriminierung – besprochen werden, wie das Festschreiben von spezifischen Rollen (»Täter«, »Opfer«) gegenüber Kindern verhindert werden kann. Des Weiteren ist es in der Nachbearbeitung des Vorfalles unabdingbar, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht im Team sicherzustellen, insbesondere für die Arbeit mit den Kindern unter der Perspektive Pädagogik der Vielfalt und Demokratiepädagogik. Zudem kann eine Informationsveranstaltung für Eltern sinnvoll sein. 

 

Pädagogik der Vielfalt

»Die Pädagogik der Vielfalt stützt sich auf die Grundannahme, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Jeder Mensch hat das Recht auf Lebensglück, Achtung seiner Persönlichkeit und Menschenwürde sowie darauf, sein eigenes Leben wie gewünscht zu gestalten. Demzufolge sind alle Menschen gleich, denn sie sind gleichberechtigt. Trotz dieser Grundannahme ist jeder Mensch einmalig, einzigartig und individuell, da jeder Mensch durch seine individuellen Lebensumstände und -erfahrungen eine eigene Perspektive auf die Welt entwickelt. Schlussfolgernd wird in der Theorie Pädagogik der Vielfalt also davon ausgegangen, dass jeder Mensch gleich und verschieden ist« (www.inklumat.de; siehe auch: Annedore Prengel 2003: Gleichberechtigung der Verschiedenen. Plädoyer für eine
Pädagogik der Vielfalt).

Demokratiepädagogik

Demokratie ist eine historische Errungenschaft, deren Verständnis, Bedeutung und praktische Geltung durch politisches wie durch pädagogisches Handeln immer wieder aktiv erneuert und verwirklicht werden muss – als Regierungsform, als Gesellschaftsform und als Lebensform. Unter Bezug auf das Konzept »Lernen durch Erfahrung« lernt man Demokratie demnach dadurch, dass man demokratisch handelt. Bei Demokratiepädagogik geht es darum, Demokratie mit unterschiedlichen Konzepten erfahrbar zu machen und einzuüben im Sinne einer Demokratie als Lebensform (John Dewey). Dazu zählen Wissen, Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft, die erforderlich sind, um als mündige*, verantwortungsfähige* Bürger*innen in der modernen Welt bestehen und mitwirken zu können (Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. 2014): ABC der Demokratiepädagogik).

 

Mehr Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis folgen in den kommenden Tagen:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

 

Inhate der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus auf Belltower.News 
 

 

Die Broschüre als PDF zum Download:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Handlungsmöglichkeiten in der Praxis: Ein Kind zeichnet nationalsozialistische Symbole

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Was tun, wenn Kinder in der Kita Hakenkreuze und Runen zeichnen?  Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis

 

Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg). Beide sind freie Mitarbeiterinnen der Fachstelle
Gender, GMF und Rechtsextremismus.

Die Fälle und Handlungsmöglichkeiten gliedern sich auf verschiedene Ebenen: Pädagogisches Handeln mit Kindern, Elternarbeit sowie professionelles Handeln im Team und beim Träger.

 

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

 

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

In einer Kindertagesstätte fällt ein Kind dadurch auf, dass es Hakenkreuze und Runen zeichnet und dies auf Nachfrage rechtfertigt (»Das gibt es bei uns zu Hause. Meine Eltern finden das gut.« »Meine Mama sagt, das Kreuz ist etwas Gutes!«). Gleichzeitig verweigert es, mit Kindern zu spielen, die eine dunklere Hautfarbe oder eine Beeinträchtigung haben. Zudem spielt es sehr gern Krieg und ist gegenüber anderen Kindern aggressiv und gewalttätig.

Dass Kinder Hakenkreuze oder auch Runen zeichnen, macht deutlich: Sie haben diese Symbole an anderer Stelle gesehen. Hier sollte nachgefragt werden, woher das betreffende Kind diese kennt und was es damit verbindet.

Grundsätzlich muss eine Kita auf juristisch verbotene Symbole reagieren, z.B. auf das Hakenkreuz – auch wenn sie von Kindern gezeichnet sind. An dieser Stelle ist uns der Verweis wichtig: Kinder können aufgrund ihres Alters und ihres Wissens keine Nazis sein und sollten daher auch nicht als solche bezeichnet werden. Kita-Kinder können durchaus über Vor-Vorurteile verfügen. Es ist die Aufgabe von Pädagog*innen, diese in ihrer Ausprägung zu hinterfragen und zu kritisieren.

Betrachtet man diesen Fall, so deutet sich an, dass es sich hier um eine primäre Sozialisation in einem rechtsextremen Kontext handeln kann. Dafür spricht u.a., dass das Kind in der Lage ist, das Zeichnen eines Hakenkreuzes zu legitimieren oder auch zu relativieren (wie es in der Praxis zu beobachten ist). Pädagogisch ist es notwendig, mit dem Kind verständlich und altersgerecht darüber zu reden, wofür dieses Symbol steht und was daran problematisch ist. So kann beschrieben werden, wie zum Beispiel eine entsprechende Gesellschaft aussieht. Sollte sich im Gespräch mit dem einzelnen Kind herausstellen, dass im Elternhaus eine rechtsextreme Orientierung wahrscheinlich ist, so gilt es, zu reflektieren: Kinder geraten in solchen Fällen in Loyalitätskonflikte, sie lernen in der Kita etwas anderes als zu Hause. Kinder haben oft den Wunsch, ihre Eltern, die sie lieben, zu schützen und zu verteidigen. Solche Loyalitätskonflikte überfordern Kinder und schränken ihre Persönlichkeitsentwicklung ein. Es handelt sich um eine klassische pädagogische Dilemmata-Situation, in der es keine guten Lösungen gibt. Hilfreich ist, dies als Fachkraft, aber auch im Team kontinuierlich zu reflektieren und pädagogisches Handeln darauf abzustimmen.

Zusätzlich zum Gespräch mit dem betreffenden Kind ist es wichtig, mit der gesamten Kindergruppe zum Thema zu arbeiten. Es gilt, altersgerecht zu vermitteln, dass das Hakenkreuz für eine menschenfeindliche Gesellschaft steht. So kann zum Beispiel gesagt werden: »Das Zusammenleben ist dann ganz anders, als wir das hier gemeinsam in unserer Kita tun möchten, dann werden Kinder ausgegrenzt und es gibt Gewalt.«

Wir empfehlen, zeitnah einen Gesprächstermin mit den Eltern zu vereinbaren. Hier ist es sinnvoll, offen nachzufragen, ob die Eltern wissen, dass ihr Kind Hakenkreuze malt und wie sie sich das erklären. Konkrete Hinweise für die Arbeit mit rechtsextrem orientierten oder engagierten Eltern finden Sie im weiteren Verlauf der Broschüre. Nicht zuletzt sollte das Thema auf einer Elternversammlung eingebracht werden. Hier geht es darum, mit den Eltern darüber zu sprechen, wie sie mit ihrem Kind thematisieren können, wofür das Hakenkreuz steht – und zu vermitteln, warum ein derartiges Symbol mit dem Leitbild der Kita nicht zu vereinbaren ist.

 

Nationalsozialistische Symbole

Politische Symbole drücken bildhaft eine Weltanschauung aus, doch ihre Funktion reicht weit über den Transport einer politischen Botschaft hinaus: Sie dienen als Erkennungszeichen für Gleichgesinnte, vermitteln ein Zusammengehörigkeitsgefühl und stehen zugleich für Abgrenzung. Symbole zeigen: Ich bin anders, ich pflege einen bestimmten Lifestyle, ich bin Teil einer Bewegung oder einer bestimmten Gruppe innerhalb dieser Bewegung.

Bestimmte rechtsextreme Symbole bzw. solche mit Bezug zum Nationalsozialismus sind verboten: das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach §86 Strafgesetzbuch (StGB) sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a StGB, ebenso Kennzeichen verbotener Vereine nach §20 Vereinsgesetz (VereinsG).

Die »Versteckspiel«-Broschüre informiert über Symbole, Codes und Lifestyle von Neonazis und extrem Rechten in Bildern und kurzen Texten. Auf jugendkulturelle Codes wird ebenso ausführlich eingegangen wie auf Zahlenkombinationen, mit denen strafrechtlich relevante Begriffe, Grußformeln oder Organisationszeichen verschlüsselt werden. In pädagogischen Feldern sind Symbole nicht allein danach zu beurteilen, ob sie juristisch »verboten« sind oder nicht. Ein Verbot kann die notwendige Auseinandersetzung mit den dahinter stehenden Inhalten nicht ersetzen.

Einen auführlichen Teil zu Symbolen, Codes und Marken gibt es auch bei Belltower.News:

 

 

Mehr Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis folgen in den kommenden Tagen:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

 

Inhate der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus auf Belltower.News 
 

 

Die Broschüre als PDF zum Download:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

 

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Handlungsmöglichkeiten in der Praxis: Kinder aus völkischen Elternhäusern

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Spiel-Einladung bei einer rechtsextremen Familie? Was ist da eine gute Lösung? (Symbolbild)
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Kinder aus rechtsextremen "völkischen" Familien sind in der Kita oft unauffällig. Aber was tun, wenn eine Geburtstageinladung ansteht? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis

Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg). Beide sind freie Mitarbeiterinnen der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus.

Die Fälle und Handlungsmöglichkeiten gliedern sich auf verschiedene Ebenen: Pädagogisches Handeln mit Kindern, Elternarbeit sowie professionelles Handeln im Team und beim Träger.

 

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

 

Fall I.3: Kinder aus völkischen Elternhäusern

 

In einer Kita fallen zwei Geschwister auf, die besonders zurückhaltend sind und wenig von zu Hause, z.B. vom Wochenende, erzählen. So verhalten sie sich im Morgenkreis zum Wochenbeginn schweigsam und passiv. Gleichzeitig gibt es keine sogenannten Disziplinprobleme, diese Kinder scheinen besonders ‚gut zu spuren‘. Außerdem sind traditionelle Geschlechterrollen in den Erziehungsstilen erkennbar: Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert und gedrillt. Beide kommen häufig am Morgen in die Einrichtung, nachdem sie bereits einen 1,5-km-Lauf absolviert haben.

Nun lädt das Mädchen mehrere andere Kinder aus der Kita zum Kindergeburtstag ein. Einige Eltern, deren Kinder eingeladen sind, wissen um die Zugehörigkeit der Eltern in einer rechtsextremen Kameradschaft und machen sich Sorgen, was auf dem Kindergeburtstag passieren könnte. Gleichzeitig möchten sie ihren Kindern nicht so einfach die Teilnahme und damit auch die Möglichkeit zur Freundschaft mit dem Mädchen verbieten. Sie bitten die Erzieher*innen um Rat.

 

Im Fallbeispiel gibt es Hinweise darauf, dass die Kinder in einem rechtsextremen völkischen Elternhaus aufwachsen. Völkische Erziehungsstile sind in der Gegenwart – wie bereits im Nationalsozialismus – stark darauf ausgerichtet, Kinder zu Gehorsam und Unterordnung in eine völkische Gemeinschaft zu erziehen. Die Erziehung in den Familien ist dabei sehr auf die Ausbildung klassischer Geschlechterrollen bedacht. Es geht darum, ein »richtiger Junge« und ein »richtiges Mädchen« zu sein und um die Perspektive, dass aus Mädchen »deutsche Mütter« werden und aus Jungen »politische Kämpfer«. Auch wenn man nicht von einem einheitlichen Erziehungsstil im aktuellen Rechtsextremismus sprechen kann, sind Erziehungsstile weit verbreitet, die auf Härte, Durchhaltevermögen und Folgsamkeit ausgerichtet sind. Unabhängig davon verfolgen Eltern, die Teil der Neonazi-Szene und von deren weltanschaulichen Ideen überzeugt sind, das Ziel, ihren Nachwuchs ideologisch zu prägen. Hinweise auf solche Erziehungsstile finden sich in rechtsextremen Online-Foren und rechtsextremen Erziehungsratgebern. Das sind zumeist Bücher aus der Zeit des Nationalsozialismus, die z.T. aber auch nach 1945 partiell überarbeitet in der Bundesrepublik aufgelegt wurden, z.B. das Buch von Johanna Haarer »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Darin wird eine strenge, autoritäre Erziehung empfohlen und dazu geraten, Kinder nicht zu »verzärteln«. Die Mutter solle »hart werde(n)« und auf das Weinen des Kindes gerade nicht mit emotionaler Zuwendung reagieren. Haarer vermittelt in ihren Büchern nationalsozialistische Ideologie.

Die in der Bundesrepublik erschienene Neuauflage des Buches ist sprachlich bereinigt; empfohlen werden auch hier Erziehungsmaßnahmen im Sinne von Härte, Gehorsam und Unterwerfung. Ein sinnvolles pädagogisches Angebot für Kinder generell, insbesondere aber für Kinder, die in autoritären, disziplinierenden Kontexten aufwachsen, können Angebote der Primärprävention sein – z.B. Ansätze der Vielfalt- und Demokratiepädagogik sowie Projekte zu Kinderrechten. Grundsätzlich hilfreich ist es, das pädagogische Konzept der Einrichtung zu überdenken und ggf. dahingehend zu ergänzen. So ist es wichtig, auf eine Vielfalt der Zugehörigkeiten zu achten – sowohl aufseiten der pädagogischen Fachkräfte als auch aufseiten der Kinder. Stereotype jeglicher Art können unterlaufen werden, wenn zum Beispiel Toberäume nicht nur für Jungen und Kuschelecken nicht nur für Mädchen gedacht werden, das Speiseangebot in der Einrichtung unterschiedlichen religiösen und kulturellen Ansprüchen gerecht wird und unterschiedliche ethnische Herkünfte sich auch im pädagogischen Material spiegeln. Vielfalt aufzugreifen kann auch heißen, gezielt Eltern anzusprechen, die einer anderen Einkommensgruppe oder Bildungsschicht als die Mehrheit angehören oder die eine Migrationsgeschichte mitbringen, sowie Kinder einzubeziehen, die aus Regenbogenfamilien kommen. Eine Alltagskultur, die Verschiedenheiten für alle als gleichwertig erfahrbar werden lässt, ist bereits ein wirksamer Ansatz der Primärprävention gegen Rechtsextremismus. Es gilt, eine Kultur der Verschiedenheit und Gleichwertigkeit aller im Alltag der Kinder erfahrbar zu machen. Damit wird der Vorstellung einer homogenen ‚Volksgemeinschaft‘ und der Ungleichwertigkeit verschiedener Gruppen – zentrale Ideologeme von Neonazis – praktisch etwas entgegengesetzt.

In der konkreten Situation ist es hilfreich, die Eltern zum persönlichen Gespräch in die Kita einzuladen. Hierbei sollte es um die bestmögliche Unterstützung der Kinder gehen – ausgehend davon, dass fast alle Eltern ein gutes und bildungserfolgreiches Aufwachsen ihrer Kinder wünschen. Es sollte deutlich gemacht werden, inwiefern autoritäre und geschlechterstereotype Erziehungsstile die vielfältigen Möglichkeiten von Kindern einschränken und Entwicklungen erschweren. Auf dieser Basis kann eine strategische Arbeitsbeziehung mit den Eltern eingegangen werden, in deren Vordergrund das Kindeswohl steht. Für die Arbeit im Team ist hierbei zu bedenken: Fachkräfte, die möglicherweise von Neonazis als Feind*innen wahrgenommen werden, sollten von ihren Kolleg*innen solidarisch unterstützt und geschützt werden. Sinnvoll kann die Entwicklung eines Schutzkonzeptes sein. Arbeitsbeziehungen mit rechtsextrem orientierten oder organisierten Eltern einzugehen, beinhaltet nicht das Tolerieren von Diskriminierung – vielmehr ist wesentlich, dass sich Pädagog*innen eindeutig positionieren und auch das Einhalten der gemeinsam ausgehandelten Regeln einfordern.

Im Umgang mit den Eltern, die im Vorfeld des Kindergeburtstages um Rat gebeten haben, ist es zunächst wichtig, ihnen für das Vertrauen zu danken und wertzuschätzen, dass sie rechtsextreme Orientierungen als Problem wahrnehmen und diese ansprechen. Das ist leider nicht selbstverständlich. Zudem ist anzuerkennen: Sie begeben sich auf die Suche nach einer Lösung, die die Situation aller Kinder mitbedenkt, sowohl der eigenen als auch der Kinder, die zum Geburtstag einladen. Auf einem Elternabend in der Kita können mögliche Alternativen besprochen werden – z.B. das Begleiten der Kinder durch ihre Eltern oder das alternative Angebot, das Fest in der Kita auszurichten.

Nicht zuletzt kann es in diesem Fall sinnvoll sein, Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, (Alltags-)Rassismus und/oder andere Diskriminierungsformen mit allen Eltern in der Einrichtung zu thematisieren. Das kann zum Beispiel in Form eines Elternabends geschehen oder mittels eines Infotages mit externen Expert*innen. Grundsätzlich kann es in diesem Fall sinnvoll sein, eine externe Fachberatung zum Thema Rechtsextremismus für das Team und den Träger begleitend hinzuzuziehen. Auf jeden Fall sollte diese Situation im Team besprochen werden.

 

Die Frage von Kindeswohlgefährdung

Im Kontext der pädagogischen Arbeit mit Kindern, die in rechtsextrem organisierten Familien aufwachsen, geht es auch um die Diskussion einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Oft geraten Kinder in einen Loyalitätskonflikt zwischen den Ansprüchen der Herkunftsfamilie und den dazu diskrepanten Anforderungen im Außen. Viele werden in Freund-Feind-Bilder einsozialisiert. Das schränkt letztlich den möglichen Erfahrungsraum Heranwachsender ein. Beide Themen können
den Straftatbestand der Kindeswohlgefährdung berühren. Allgemein ist zu beachten: Das Elternrecht auf Pflege und Erziehung der Kinder ist ein hohes Gut in unserem Grundgesetz. Es kann, gerade aus demokratischer und historischer Perspektive,
nicht darum gehen, Kinder ohne Weiteres aus ihren Elternhäusern herauszunehmen. Nicht zuletzt ist dies eine pädagogische Frage, die sich angesichts der Loyalität von Kindern gegenüber ihren Eltern stellt. Man weiß aus der Arbeit mit Kindern, die in Familien aufwachsen, die sich in christlich-fundamentalistischen Gruppierungen oder Sekten bewegen, um die kontraproduktive Wirkung, die eine gegen den Willen von Kindern durchgesetzte Herausnahme haben kann. Kinder versuchen, die ihnen zugewiesenen Pflegefamilien zu verlassen, ihnen zu ‚entfliehen‘ und zu ihren Eltern zurückzukehren – auch wenn es sich dort um nachweisbare Zwangs- und Gewaltsituationen handelt. Aufgabe demokratischer pädagogischer Institutionen sollte es sein, Kinder zu stärken und ihnen in diesem Fall einen alternativen Erfahrungsraum zu ihrem Elternhaus zu eröffnen. Eine Ausgrenzung der betroffenen Kinder ist keine Lösung und ist keinesfalls anzustreben. Vielmehr sollte versucht werden, den Zugang zu den Kindern zu erhalten. Kita und Schule sind diejenigen Institutionen, die es ermöglichen können, den Kindern einen demokratischen Alltag erlebbar zu machen. Insofern sehen wir die Aufgabe von Pädagog*innen zuallererst darin, hier anzusetzen und letztlich ein Fenster offenzuhalten, damit diese Kinder eines Tages selbstständig entscheiden können, ob sie einen anderen Weg gehen wollen oder erwachsener Teil der rechtsextremen Szene werden/bleiben. Es ist sinnvoll, den Kontakt zu diesen Kindern nicht zu verlieren. Von Aussteiger*innen wissen wir: Oft war ein Mensch für sie entscheidend, der sie als Person akzeptiert hat, aber – und hier reden wir vom späteren Jugend- und Erwachsenenalter – in ideologische Widersprüche verwickelt hat. Ausgrenzung ist in der Arbeit mit Kindern keine Lösung. 

 

Rechtsextremismus und Kindeswohlgefährdung

»Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn die persönliche Entfaltungsfreiheit der Kinder und Jugendlichen behindert wird, denn dem im Grundgesetz verbürgten Elternrecht steht das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit seitens der/des Minderjährigen aus Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber. (…) Es ist davon auszugehen, dass auch bei rechtsextremistisch orientierten bzw. organisierten Eltern eine große Breite des Umgangs mit Kindern und der Qualität von Eltern-Kind-Beziehungen existiert. Eine Kindeswohlgefährdung ist nicht allein durch das Aufwachsen im rechtsextremen Milieu gegeben. (…) Eine Kindeswohlgefährdung aufgrund rechtsextremistischer Erziehung kommt in Betracht, wenn es zu körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen oder anderen entwürdigenden Maßnahmen kommt. Wenn also aufgrund der Ausübung der elterlichen Sorge die körperliche und/ oder psychische Entwicklung behindert wird, persönliche Bindungen unterdrückt oder überfordernde Loyalitätskonflikte hervorgerufen werden« (Kati Lang 2010: Rechtsextremismus als Thema in der Jugendhilfe. pad e.V./ LICHT-BLICKE Projekt ElternStärken (Hrsg.), https://bit.ly/2oGQRxH).

 

Kinderrechte

Jeder Mensch hat Rechte – dafür gibt es die Charta der Menschenrechte. Kinder sind auch Menschen, aber sie haben besondere Bedürfnisse in Bezug auf ihre Förderung, ihren Schutz, ihre Mitbestimmung und ihre Entwicklung. Darum hat die UNO 1989 die UN-Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. Den Kinderrechten in der UN-KRK liegen vier zentrale Grundprinzipien zugrunde: der Schutz vor Diskriminierung, der Vorrang des Kindeswohls, das Recht jedes Kindes auf Leben, Überleben und Entwicklung sowie die Berücksichtigung der Meinung des Kindes.

http://www.kinderrechte.de

 

»Völkische Familien«

Die Vorstellung einer ethnisch homogenen, über Jahrhunderte bestehenden »Schicksalsgemeinschaft« eint die rechte Szene. Sowohl im Rechtsextremismus als auch im Rechtspopulismus, in Reichs- und Verschwörungsideologien und rechter Esoterik existiert die Angst vorm Aussterben des bedrohten »Volkes«. Tatsächlich prägt in der rechten Szene der »völkische Blick« die Haltung zu Einwanderung, Geschlechterverhältnissen, Sexualität und Fortpflanzung, die Sicht auf Ökologie und Natur, Bildung von Kindern, die Gesellschaftsordnung und vieles mehr. Diese Ideologie findet in der völkischen Bewegung ihren politischen Ausdruck. Sogenannte »Völkische Siedler*innen« lassen sich gezielt in strukturschwachen Regionen nieder, um ihr
rassistisches und antisemitisches Weltbild ungehindert ausleben und als Alternative zum »System« etablieren zu können. Diese Rückzugsorte bieten ihnen auch die Chance, ihre Kinder mit »weniger Einflüssen von außen« zu erziehen. Ihre Weltanschauung geht auf das rassistischantisemitische Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand (siehe Amadeu Antonio Stiftung 2017: »Die letzten von gestern, die ersten von morgen«? Völkischer Rechtsextremismus in Niedersachsen. https://bit.ly/2KmkUsw).

 
 

Mehr Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis folgen in den kommenden Tagen:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

 

Inhate der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus auf Belltower.News 
 

 

Die Broschüre als PDF zum Download:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

 

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Handlungsmöglichkeiten in der Praxis: Subtiler Rassismus in der Elternarbeit

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Rechtsextreme Mütter sind oft sehr engagiert - so können sie etwa dafür sorgen, dass ihr Weltbild unauffällig etwa in die Kita-Gestaltung einfließen kann. Was tun? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene II: Elternarbeit

Bevor wir uns im Folgenden mit konkreten Fällen befassen, möchten wir vorab auf die Situation von Eltern aufmerksam machen, deren Kinder von Diskriminierung betroffen sind. Nicht selten geraten diese mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen aus dem Blick. Dies betrifft sowohl die direkte Intervention (siehe Fall 1 im Bereich »pädagogische Arbeit mit Kindern«) als auch generell präventive Aspekte. Es ist wichtig, den Eltern zu versichern, dass ihre Kinder geschützt werden und eine diskriminierungssensible Haltung Bestandteil des pädagogischen Einrichtungskonzeptes ist. Gleichzeitig ist es wichtig, darauf zu verweisen, dass Eltern sich jederzeit an die Fachkräfte wenden können und es ein kritisches, selbstreflexives Bewusstsein gerade auch in der Leitungsebene gegenüber zum Beispiel alltagsrassistischen Vorfällen gibt.

 

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen«

 

Sie sind Erzieher*in in einer Kindertageseinrichtung im ländlichen Raum. In der Elternvertretung engagiert sich eine Mutter, die mit ihrer Familie vor eineinhalb Jahren in den Ort gezogen ist. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass der Spielplatz im Ort – seit Langem zerstört und kaum benutzbar – von den Eltern in einer Gemeinschaftsaktion repariert und wiederhergestellt wird. Sie hat mittlerweile viele Freund*innen im Ort. Auf der Elternversammlung wirft sie die Frage auf, ob die Gruppenräume nicht mal gemalert und in diesem Zusammenhang neue Bilder aufgehängt werden sollten. Sie würde gern Fotos aufhängen, auf denen »unsere Kinder« zu sehen seien. »Solche Kinder, wie auf den jetzigen Bildern zu sehen sind, haben wir hier doch eh nicht«, sagt sie. Viele Eltern finden das nachvollziehbar, auch ihre Kollegin.

Diese Fallbeschreibung zeigt, wie auf subtile Art und Weise eine Unterscheidung zwischen »unseren Kindern« (»Wir«) und »anderen Kindern« (»Fremde«/»nicht dazugehörig«) sprachlich entsteht und in den Alltag eingeschrieben wird. Die Differenzkonstruktion zwischen »Wir« und »die Anderen« ist die sprachliche Basis für verschiedene Diskriminierungsformen wie Rassismus, Antisemitismus, Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma, Lesben, Schwulen, Trans* etc. An dieser Stelle ist uns wichtig, deutlich zu machen: Die Aussage, »Bilder mit unseren Kindern« aufhängen zu wollen, kann zunächst völlig unproblematisch sein. Wenn jedoch über »andere Kinder, die wir hier eh nicht haben«, gesprochen wird, ist es notwendig, hellhörig zu werden und nachzufragen. Insofern ist einerseits die Frage zu stellen: Wie inklusiv ist die Bezeichnung »unsere Kinder« gemeint, sind also alle Kinder einbezogen oder werden Kinder ausgeschlossen, die bestimmten Vorstellungen nicht entsprechen? Letzteres ist hier der Fall: Auch wenn in der Falldarstellung nicht beschrieben, so ging es der Mutter auf dem Elternabend darum, Bilder auszutauschen, auf denen Kinder of color und Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen abgebildet waren. Andererseits geht es darum zu erkennen, inwiefern mit diesen Differenzkonstruktionen Menschen bestimmten Gruppen zugeordnet und dadurch von einer »Wir-Gruppe« ausgeschlossen und/oder abgewertet werden.

Im Zuge unserer Beratungsarbeit der Kolleg*innen dieser Kita-Einrichtung und unserer Recherche vor Ort wurde deutlich: Es handelte sich bei der betreffenden Mutter um eine rechtsextreme Aktivistin. Sie beteiligte sich regelmäßig an rechtsextremen Aufmärschen und war in der Ortsgruppe des »Ring Nationaler Frauen« aktiv. Wie in der Fallbeschreibung deutlich wurde, ging die Mutter sehr strategisch vor: Sie versuchte, als Neuzugezogene in der Ortschaft Freund*innen zu finden und Beziehungen zu knüpfen, sie engagierte sich sozial und brachte hier zunächst nicht ihre Weltanschauung ein. In dem Moment, als sie belastbare Beziehungen aufgebaut und Vertrauen gefunden hatte, begann sie auf äußerst subtile Weise, ihre rechtsextreme Ideologie zu zeigen. Dies ist kein Einzelfall. Vielmehr handelt es sich um eine rechtsextreme Strategie, die Frauen besonders häufig in sozialen Kontexten, z.B. Kitas, Schulen, Sportvereinen, erfolgreich anwenden. Insofern ist es wichtig und unabdingbar – dies zeigt der Fall –, Diskriminierung frühzeitig wahrzunehmen, beispielsweise durch das Erkennen sprachlicher Differenzkonstruktionen von »Wir« und »die Anderen« und eine adäquate Reaktion darauf.

Gleichzeitig möchten wir an dieser Stelle festhalten: Sozial engagiertes, freundliches und ggf. sympathisches Auftreten der Frauen erschwert es deutlich, wahrzunehmen, dass es sich um rechtsextreme Aktivistinnen handelt bzw. handeln kann. Verschiedene Beispiele der letzten Jahre belegen dies. So haben sich rechtsextreme Kaderfrauen in mehreren Fällen erfolgreich über längere Zeit in die Elternarbeit in pädagogischen Einrichtungen eingebracht. In der konkreten Praxis war es wichtig, dass die Kollegin, die auf dem Elternabend ein ungutes Gefühl hatte, dies ernstgenommen und sich Beratung bei Expert*innen gesucht hat. In einem nächsten Schritt wurden die Kolleg*innen aus der Einrichtung auf einer Teamsitzung angesprochen, in deren Verlauf die Idee einer internen Fortbildung eingebracht und angenommen wurde.

Im Team wurde entschieden, auf der folgenden Elternversammlung das Thema noch einmal aufzugreifen, also über den vorgeschlagenen Austausch der Bilder an den Wänden zu sprechen und deutlich zu machen, wo das Problem liegt. Auch mit externen Expert*innen konnten Fragen der Eltern besprochen werden. Parallel suchten zwei Kolleg*innen das Einzelgespräch mit der betreffenden Mutter und machten ihr deutlich, dass die Werte der Kita (demokratisches Leitbild) 18
nicht vereinbar sind mit rechtsextremer Ideologie. Perspektivisch geht es darum, mit der Mutter eine strategische Arbeitsbeziehung aufzubauen, in der das Wohl des Kindes im Vordergrund steht (siehe Interview mit Eva Prausner in dieser Broschüre).
Im Sinne von Transparenz und Offenheit empfiehlt es sich, die gesamte Elternschaft über den Fall zu informieren sowie generell über Erscheinungsformen von Rechtsextremismus lokal/regional aufzuklären. Eltern haben ein Recht darauf, zu wissen, wer sich rechtsextrem engagiert und in welchen Elternhäusern ihre eigenen Kinder ggf. zu Gast sind. Nicht zuletzt kann dies wichtig sein, um zu thematisieren, wer sich zur Wahl in den Elternrat aufstellen lässt. Eine klare Position gegen rechts seitens der Einrichtung kann andere Eltern ermutigen, sich dagegen zu stellen. Ein Verschweigen des Problems aus Angst und Unsicherheit ist zu kritisieren und nicht hilfreich.

 
»Ring Nationaler Frauen«
 
Der »Ring Nationaler Frauen« (RNF) ist eine Unterorganisation der rechtsextremen NPD. Der RNF wurde 2006 gegründet und sieht sich als Sprachrohr für »nationale Frauen«, unabhängig von einer NPD-Mitgliedschaft. Rechtsextreme Frauen sollen durch den RNF stärker in die politische Arbeit einbezogen werden. Rechtsextreme Frauen haben sehr unterschiedliche Möglichkeiten, die rechtsextreme Ideologie voranzutreiben. Hierfür eignen sich im Besonderen Bereiche
und Orte, die gemeinhin als »weiblich« und »unpolitisch« gelten (siehe Amadeu Antonio Stiftung 2015: Rechtsextreme Frauen – übersehen und unterschätzt. Analysen und Handlungsempfehlungen, https://bit.ly/2tFSY8v).

 

Mehr Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis folgen in den kommenden Tagen:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

 

Inhate der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus auf Belltower.News 
 

 

Die Broschüre als PDF zum Download:

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"Vielleicht hat Miteinander e.V. ja noch einen Beratungstermin frei"

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Zum Tag der Deutschen Einheit fragt sich Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung: Kommt die Einheit näher oder entfernen wir uns von ihr? 

 

Ein Kommentar von Anetta Kahane

 

Wieder liegt ein Tag der Deutschen Einheit hinter uns. Die Frage ist nur, ob wir uns von ihr jedes Jahr weiter entfernen oder ihr näherkommen. Oder mit anderen Worten, ob die Einheit hinter uns liegt oder noch vor uns. Was jedoch überall diskutiert wird, ist, inwieweit Ostdeutschland derzeit identitätsbildend auf ganz Deutschland wirkt. Das hohe Ausmaß an rechtsextremer Gewalt und die Zustimmung zur extrem rechten Partei AfD machen Ostdeutschland in diesem Jahr zu einem besonderen Debattenthema. Manche sagen, es sei die Rache der Ostdeutschen dafür, dass sie nicht gut behandelt wurden, abgehängt seien und schlechtere Lebensverhältnisse hätten. Andere meinen, dass nichts von dem rechtfertigen könne, sich rassistischen und antisemitischen Gruppen anzudienen, die jenen Hass säen, der dann in Gewalt umschlägt. Gerade wurde eine Nazi-Gruppe festgenommen, die von Chemnitz aus Anschläge am Tag der Deutschen Einheit geplant hatte.

Sie nennt sich „Revolution Chemnitz“. Dieser Name bedeutet mehr als nur die bekennende Absicht, die Demokratie umzustürzen. Er bedeutet auch, dass sich diese Nazis als logische Folge der „friedlichen Revolution“ von 1989 sehen. Denn was viele Menschen in Deutschland bis heute nicht wahrhaben wollten, ist, wie sehr das Völkische bereits in der DDR vorhanden war und sich seit der Einheit immer weiter entfalten konnte. Das geschah vor allem in den Teilen der Neuen Länder, in denen Landesregierungen diese Entwicklung ignorierten oder leugneten. Oder wo der Aufbau einer menschenrechtsorientierten, kritischen und die Demokratie verteidigenden Zivilgesellschaft behindert wurde oder wird. Das geschieht aus vorauseilendem Opportunismus gegenüber aggressiven Rechtspopulisten. So meint man vermeiden zu können, dass die Rechten noch stärker werden. Doch die Rechnung geht nicht auf. Denn erstens ermutigt es Rechte und Rechtsextreme und zweitens befördert es das Abgehängtsein in Ostdeutschland.

Ein Beispiel: Gerade macht die AfD in Sachsen-Anhalt gegen den Verein Miteinander e.V. mobil und der CDU-Innenminister diskreditiert den Verein als „Marscheinheit der Linken“ und droht mit Mittelentzug. Seit fast 20 Jahren bemüht sich der Verein darum, die Standards für eine demokratische Kultur zu verteidigen. Gegen militante Nazigruppen, gegen Gewalt, gegen unverhohlenen Rassismus und Antisemitismus. Selbstverständlich sind solche Bemühungen mühsam – wie es das Wort ja bereits sagt. Es braucht Geduld, einen langen Atem und mutiges Engagement. Miteinander e.V. ist von DDR-Bürgerrechtlern gegründet worden, denen die Lage der Menschenrechte in Sachsen-Anhalt nicht egal war. Seitdem hat der Verein viel erreicht. Er hat Opfer rechter und rassistischer Gewalt betreut und beschützt, er hat mit seinen Teams Kommunen und Institutionen beraten, unzählige Fortbildungen durchgeführt und kommt dem Bedarf an fachlicher Unterstützung kaum hinterher. Jetzt wird dieser Verein zur Zielscheibe, so wie es auch in Sachsen geschieht. Dies geschieht unter der dummen Prämisse, dass, wer gegen Rechtsextremismus arbeitet, ja folglich linksextrem sein muss. Müßig zu bemerken, dass das nicht stimmt, denn das Gegenteil von Rechtsextremismus ist demokratische Vielfalt und eben nicht Linksextremismus.

Und warum geht die Rechnung nicht auf? Folgende Geschichte: Bereits in den 1990er Jahren wurden wir von internationalen Wirtschaftsunternehmen kontaktiert mit der Bitte um sachliche Auskunft darüber, ob in ebendiesem Sachsen-Anhalt das Klima gegenüber Ausländern freundlich sei. Man überlege dort zu investieren, wolle aber sicher sein, dass dies gewollt ist und die Mitarbeiter gut aufgenommen würden – auch wenn sie einen nicht-deutschen Background hätten. Nun, ich erinnere mich daran, wie es schwer war darauf zu antworten. Denn es sollte keinesfalls von unserer Antwort abhängen, ob der Standort gewählt würde oder nicht. Also fiel unsere Einschätzung diplomatisch aus aber mit optimistischen Aussichten. Die Unternehmen haben dann doch nicht dort investiert. Denn wir waren nicht die einzigen, die für das Klima keine Garantie abgeben konnten. Heute zeigt eine Studie, dass Ostdeutschland auch deshalb abgehängt ist, weil es zu wenig qualifizierten Arbeitskräfte gibt. Trotz Abwanderung. Es fehlen die Einwanderer, diejenigen Deutschen, die den Ostdeutschen zu wenig deutsch aussehen. Deshalb siedeln keine neuen Betriebe an und kleine mittelständische, haben große Not. Daher wandern noch mehr Menschen ab. Ein fataler Kreislauf.

Auch aus diesem Grund wären alle Verantwortlichen in den Neuen Ländern gut beraten für ein positives Klima zu sorgen, in dem die Gesellschaft und die Wirtschaft gut gedeihen können. Wie das geht? Vielleicht hat Miteinander e. V. ja noch ein paar Beratungstermine frei.

 

Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstandes der Amadeu Antonio Stiftung. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung, den Sie hier abonnieren können

 

 

Das Bild wird unter der Creative Commons-Lizenz CC0 veröffentlicht.

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Ares Verlag und Leopold Stocker Verlag

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Beide Verlage sitzen in Graz.

Diese beiden Verlage können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Der "Leopold Stocker Verlag"wurde 1917 als "Heimatverlag Leopold Stocker" gegründet und begann seine verlegerische Tätigkeit mit landwirtschaftlicher Fachliteratur und politisierenden Schriften zur Frage der Kriegsfolgen für Österreich. Der Gründer, Leopold Stocker, war überzeugter Antisemit und deutschnational gesinnt, was sich sehr bald im Programm seines Verlages niederschlug - u. a. verlegte er den fanatischen Antisemiten Karl Paumgarrten. Seine Bücher verstand er als Beitrag, „das deutsche Volk von seinem Krebsschaden [den Juden] zu befreien“. Nach dem Anschluss 1938 war er begeisterter Anhänger der Nazis und an der Arisierung des Buchhandels beteiligt. Mit dem Ende der NS-Herrschaft kam es zu einer inhaltlichen Mäßigung und einer Konzentration auf die ursprünglichen Themengebiete Landwirtschaft und Heimatkultur, jedoch wurden in den folgenden Jahrzehnten, unter der Leitung der Tochter des Gründers Ilse Dvorak-Stocker, weiterhin auch politisch (weit) rechts stehende Schriften verlegt. Darunter finden sich u. a. auch - unter neuem Namen - nationalsozialistische Bekenntnisromane und 1987 ein Buch des berüchtigten Holocaustleugners David Irving (Rudolf Hess. Ein gescheiterter Friedensbote? Die Wahrheit über die unbekannten Jahre 1941-1945) (vgl erinnern.at, doew.at). 

Um dem Vorwurf der „Berührungspunkte zum Rechtsextremismus" (vgl. DÖW) weniger Angriffsfläche zu bieten und so den Umsatz des Verlags nicht zu gefährden, wurde das politisch einschlägige Programm 2004 in den zu diesem Zweck neugegründeten "Ares Verlag" ausgelagert. Nach einer darauffolgenden Neukonsolidierung 2005, bei der auch die Zeitschriftensparte ausgegliedert wurde, verlegt der Leopold Stocker Verlag heute hauptsächlich Bücher zu den unverfänglichen Themen Österreichkunde, Landwirtschaft, Jagdwesen, Natur, Kochen, Handarbeit, Imkerei u. ä. Betrachtet man das Angebot aber etwas genauer, wird stellenweise das völkisch-deutschtümelnde Weltbild dahinter erkennbar, wenn in den Beschreibungen zu den Büchern oder in deren Titeln beispielsweise von „unserer tausendjährigen Bauernkultur“ die Rede ist oder Südtirol als das „Opfer für das westliche Bündnis“ bezeichnet wird.

Der allergrößte Teil der rechtsaußen bis rechtsextremen Literatur wird heute vom Tochterunternehmen "Ares Verlag" verlegt. Mit seiner Gründung 2004 übernahm er die Publikation der 1958 gegründeten Vierteljahresschrift "Neue Ordnung", die das Mutterunternehmen seit 1999 herausgegeben hatte. Dieses Blatt verstand sich ursprünglich als deutschnational-rechtskonservativ, nahm seit den späten 1990er Jahren eine Brückenbauerfunktion zum rechtsextremen Milieu Österreichs an und erfuhr seit 2004/2005 durch die Mitarbeit rechtsextremer Autoren eine weitere Radikalisierung. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) stuft diese Zeitschrift daher seit 2005 als „dem rechtsextremen Spektrum zugehörig“ ein, da dort u. a. die ideologischen Grundlagen des Faschismus verharmlost bzw. verherrlicht, rassistische und antisemitische Ressentiments propagiert und das österreichische Verbotsgesetz abgelehnt werden (vgl. hagalil.com). Unter den Autoren dieses Magazins bzw. den Referenten auf von diesem ausgerichteten Veranstaltungen finden sich etwa der Nazi-Anwalt Björn Clemens, Götz Kubitschek, Martin Lichtmesz, Philipp Stein und Michael Wiesberg (bis 2017 Cheflektor des "Leopold Stocker Verlags", Autor der "Sezession" und der "Jungen Freiheit", Referent auf Veranstaltungen des "Instituts für Staatspolitik") (vgl. Dokumentieren gegen rechts). Zu den rechtspopulistischen bis rechtsextremen Autoren, die darüber hinaus im Leopold Stocker Verlag bzw. ab 2004 im Ares-Verlag verlegt wurden, gehören neben David Irving u. a.:

  • Wolf Rüdiger Heß (Ich bereue nichts, 1994)
  • Walter Marinovic (Diktatur des Hässlichen, 1995)
  • Volkmar Weiss (Die IQ-Falle. Intelligenz, Sozialstruktur und Politik, 2000)
  • Karlheinz Weißmann (Alles, was recht(s) ist, 2000; Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, 2005)
  • Alain de Benoist (Carl Schmitt. Internationale Bibliographie, 2010)
  • John Philippe Rushton (Rasse, Evolution und Verhalten, 2005)
  • Armin Mohler (Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, 2005)
  • Caspar von Schrenck-Notzing (Charakterschwäche. Die Re-education der Deutschen und ihre bleibenden Auswirkungen, 2015)

Der Kopf hinter beiden Verlagen ist der Enkel des Gründers, Wolfgang Dvorak-Stocker, der von politischen Beobachtern als „bodenständig-ländlich, klerikal-konservativ und deutschnational“ beschrieben wird und auch als Redakteur der "Sezession", der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift des "Instituts für Staatspolitik" (IfS) fungiert. Auch in deren Onlineausgabe (sezession.de) veröffentlicht er Gastbeiträge. Außerdem war er Autor der rechtsextremen (und ebenfalls in Graz erscheinenden) österreichischen Zeitschrift "Die Aula" (Stand: 2004) und referierte 2008 auf dem Haus der berüchtigten rechtsextremen Burschenschaft Danubia München (vgl. DÖW, Süddeutsche Zeitung).

 Vor diesem Hintergrund ist es nur naheliegend, dass der "Ares Verlag" bzw. die dazugehörige Vertriebsseite "buecherquelle.at" auch Titel des rechtsextremen "Antaios Verlages"von Götz Kubitschek vertreibt. Zusammen mit dem "Aula Verlag" - der das rechtsextreme Blatt "Die Aula" herausgibt, auf der Frankfurter Buchmesse 2018 allerdings nicht vertreten ist - machen der Ares Verlag bzw. der dahinter stehende Leopold Stocker Verlag aus Graz ein Zentrum rechter Publizistik im deutschsprachigen Raum aus.

 

Autor: Robert Wagner


TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung

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(auf der Frankfurter Buchmesse 2018 indirekt durch Manuscriptum vertreten)

Wird herausgegeben vom Förderverein der Freunde der Vierteljahresschrift TUMULT e. V. und ist eng verbunden mit der Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, bei der seit 2017 eine Werkreihe von TUMULT im Wechsel mit der Vierteljahresschrift für Konsensstörung erscheint.

Auffallend sind die personellen Verknüpfungen der Verantwortlichen und Autoren ins rechtsextreme Spektrum hinein. So schreibt der Vorstandvorsitzende des Vereins Frank Böckelmann auch für die Sezession, die Junge Freiheit, Compact und ist Referent für die Bibliothek des Konservativismus. Der Schatzmeister des Vereins und ein aktiver Redakteur des Magazins ist Benjamin Jahn Zschocke, der an der Gründung der rechten Chemnitzer Schülerzeitung Blauen Narzisse beteiligt war und in dieser wie auch in der Sezession Artikel veröffentlicht hat. Heute ist er darüber hinaus Sprecher der Bürgerbewegung Pro Chemnitz. Der menschenverachtender Charakter zahlreicher Beiträge wird an folgenden Beispielen deutlich: „Verwandtenehen - Muslimische Inzucht und Behinderung“ von Astrid Nestvogel und „Die Rache der Ausgetauschten“ von Adorján Kovács. Letzterer fordert eine vollständige Unterbindung „muslimischer Masseneinwanderung nach Europa, aber insbesondere nach Deutschland.“ (vgl. Dokumentieren gegen rechts)

Handlungsmöglichkeiten der Praxis: Bildung für das eigene Kind vs. Rassismus

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Symbolbild.
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https://pixabay.com/de/service/terms/#usage

Wenn Eltern meinen, dass Niveau einer Einrichtung sinke nun vermutlich, weil auch Kinder mit nicht-deutschem Hintergrund aufgenommen werden - was tun? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene II: Elternarbeit - Fall II.2: "Bildung für das eigene Kind"

 

Auf der Elternversammlung wird angekündigt, dass im nächsten Quartal geflüchtete Kinder aufgenommen werden. Eine Mutter macht sich Sorgen um die Qualität der Bildung für ihre Tochter, »man wisse ja, wie sehr das Niveau sinke in diesen Multi-Kulti-Einrichtungen, nicht zuletzt aufgrund der Sprachprobleme«. Am Ende der Sitzung gibt sie eine Liste herum, auf der Unterschriften gegen die Aufnahme von geflüchteten Kindern gesammelt werden.

 

In der Praxis kommt es häufig vor, dass Eltern Befürchtungen darüber äußern, dass ihre Kinder weniger Bildung erfahren, wenn die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund steigt (aber zum Beispiel auch solche der sog. »Unterschicht«). Aus der Forschung und Erkenntnissen der Migrationspädagogik wissen wir: Diese Sorgen sind unbegründet. Vielmehr ist eine Vielzahl von Erfahrungshintergründen und Zugehörigkeiten von Kindern in einer pädagogischen Einrichtung ein Garant dafür, dass vielfältige Lernmöglichkeiten für alle gegeben sind. Auch in der frühkindlichen Pädagogik zeigen die Praxiserfahrungen: Der Übergang Kita-Schule in multiethnischen Gruppenkontexten kann durchaus sehr erfolgreich verlaufen. Voraussetzung hierfür ist
ein adäquater Personalschlüssel, entsprechende Qualifikationen und ausreichende strukturelle Ressourcen.

In der konkreten Situation auf dem Elternabend lassen sich diese Erkenntnisse aus der Wissenschaft leicht verständlich einbringen. Insofern kann es hilfreich sein, auf die geäußerten Sorgen mit einer positiv begründeten Perspektive für die zukünftige Arbeit in der Einrichtung zu reagieren und auf bereichernde Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten für alle Kinder zu verweisen. Zudem ist es möglich, eine zusätzliche Informationsveranstaltung zum Thema vorzubereiten und anzubieten. In Reaktion auf die Unterschriftenliste sind mehrere Aspekte zu betrachten. Grundsätzlich geht es um die Wahrung von Kinderrechten: So sollten alle Kinder – und somit auch geflüchtete Kinder – einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben. Dementsprechend
ist es wichtig, freundlich und bestimmt darauf zu verweisen, dass das Sammeln von Unterschriften für diesen Zweck in der Einrichtung nicht erwünscht ist. Falls notwendig, kann auf das demokratische Leitbild der Einrichtung verwiesen werden oder auf das verfolgte Konzept einer inklusiven Pädagogik bzw. Vielfaltspädagogik.

 

Migrationspädagogik

Mit der Perspektive »Migrationspädagogik« richtet sich der Blick auf pädagogische Fragen, die unter den Bedingungen einer Migrationsgesellschaft bedeutsam sind. Ein zentraler Inhalt ist, wie der oder die »Andere« unter Bedingungen von Migration erzeugt werden und welchen Beitrag Pädagogik hierbei hat. Es geht also um die Macht der Unterscheidung, die Zugehörigkeitsordnungen bewirken und um die Bildungsprozesse, die diese wiederholen, (re-)produzieren oder verschieben. Migrationspädagogik richtet sich an alle Kinder und bleibt nicht bei der Beschreibung und Analyse von Unterschieden und Praxen der Unterscheidung zwischen »wir« und »nicht wir« stehen, sondern versucht diese zu verändern und zu verflüssigen (siehe dazu Mecheril, Paul 2004: Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz Verlag, S. 7ff.).

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

INHATE DER FACHSTELLE GENDER, GMF UND RECHTSEXTREMISMUS AUF BELLTOWER.NEWS 
 

 

DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

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Neue Zahlen zu rechtsextremen Einstellungen: Hass auf Migranten, Juden und Muslimen steigt

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Die Studie spricht von rund 6 % Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild in Deutschland
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Seit 2002 beobachten Wissenschaftler*innen der Universität Leipzig die Entwicklung rechtsextremer und autoritärer Einstellungen in Deutschland. Jetzt gibt es neue Zahlen: Rassismus steigt, im Osten noch mehr als im Westen Deutschlands. Muslimfeindlichkeit und Antiziganismus steigen auch und sind ein bundesweites Problem. In der aktuellen Beobachtung neu: Fragen zu sekundärem Antisemitismus.

 

Redaktion Belltower.News

 

Hier einige Ergebnisse der „Leipziger Autoritarismus-Studie 2018“
(früher: „Mitte-Studie der Universität Leipzig“).

 

Rechtsextremismus

Die Studie spricht von rund 6 % Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild in Deutschland (Ost: 8,5 %, West: 5,4 %). Dazu gehören für die Forscher:

 

Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur:

  • Diktatur wäre besser: 7,9 % (Ost 13,1%, West 6,5%)
  • Führer mit starker Hand wäre gut: 11 % (Ost 13,9 %, West 10,3 %)
  • Starke Partei, die Volksgemeinschaft verkörpert, soll regieren: 19,4 % (Ost 20,5%, West 19,1 %)

Chauvinismus

  • Mut zu starkem Nationalgefühl: 36,5 % (Ost 38,8 %, West 36%)
  • hartes Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber Ausland: 33,7 % (Ost 37,4 %, West 32,7%)
  • Ziel von Politik soll sein, Deutschland zu Macht und Geltung zu verhelfen: 24,8 % (Ost 30,8 %, West 23,2 %)

 

Antisemitismus

“Klassischer” Antisemitmus sinkt in der Betrachtung seit 2002, stagniert dabei aber auf immer noch hohem Niveau.

  • Einfluss der Juden ist zu groß: 10,1 % (Ost 8,7 %, West 10,5%)
  • Juden nutzen üble Tricks: 7,6 5 (Ost 9,5 %, West 7,1 %)
  • Juden passen nicht “zu uns”, sind eigentümlich: 9,1 % (Ost 10%, West 8,9 %)
     

Neu abgefragt wurden 2018 das Thema “Sekundärer Antisemitismus”. Dabei gibt es hochdramatische Zustimmungszahlen.

  • Durch israelische Politik werden Juden unsympathisch: 12,9 % (Ost: 13,9 %, West: 12,7 %)
  • Wütend, dass Verbreitung und Bombardierung als kleiner Verbrechen angesehen werden: 24 % (Ost: 17,1 %, West: 25,8 %)
  • Reparationsforderungen nützen nur einer Holocaust-Industrie: 36 % (Ost: 41,9 %, 35,5 %)
  • Lieber sich gegenwärtigen Problemen widmen: 55,7 % (Ost: 55,4 %, West: 55,8 %)
  • Ich kann gut verstehen, dass manchen Leuten Juden unangenehm sind: 10 % (Ost 9 %, West 10%)

 

Rassismus

Studienleiter Dr. Oliver Decker sagt: „Die Ausländerfeindlichkeit [sic] ist im gesamten Land immer stärker verbreitet, das zeigt unsere aktuelle Befragung ganz deutlich.“

  • Ausländer nutzten nur den Sozialstaat aus: 35,7 % (Ost 47,1 %, West 32,7%)
  • Wenn die Arbeitsplätze knapp werden, sollen Ausländer in ihre “Heimat” zurückgehen: 26,5 % (Ost 32,4 % , West 25 %)
  • Deutschland ist durch Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet: 35,6 % (Ost 44,6 %, West 33,3 %)

Hier stellen die Forscher fest: Je geringer der “Ausländeranteil” in einer Region ist, desto höher ist die Ablehnung.

„Wir beobachten hohe Zustimmungswerte für die Einstellung, die in der Forschung als ‚Einstiegsdroge‘ in den Rechtsextremismus gilt: Die Hemmschwelle, diesen rechtsextremen Aussagen zuzustimmen, ist besonders niedrig“, so Decker. Interessant zudem: Während in den Jahren zuvor auch Menschen, die solchen rechtsextremen Aussagen zustimmten, trotzdem CDU und SPD wählten, finden sie nun in der AfD ihre politische Heimat.

Im Vergleich zur letzten Erhebungswelle 2016 ist das geschlossene manifeste rassistische Weltbild, also der konsequenten Zustimmung aller Aussagen, angestiegen (2016: 20,4 %, 2018: 24,1%; in Ostdeutschland: 2016: 22,7%, 2018: 30,9 %)

 

Feindlichkeit gegen als Muslime wahrgenommene Menschen

  • Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden: 44,1% (Ost: 50,7 %, West: 42,2 %)
  • Durch die vielen Muslime fühle ich mich wie ein Fremder im eigenen Land: 55,8 % (Ost 54,8 %, 56,1 %)

 

Feindlichkeit gegen Sinti und Roma

  • Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten: 56 % (Ost 60,3 %, West 54,9 %)
  • Sinti und Roma sollen aus Innenstädten verbannt werden: 49,2 % (Ost: 56,5 %, West: 47,3 %)
  • Sinti und Roma neigen zur Kriminalität: 60,4 % (Ost: 69,2 %, West: 58,1 %)

 

Sozialdarwinismus

  • Der Stärkere soll sich durchsetzen: 9,8 % (Ost 15,1 %, West 8,5 %)
  • Deutsche sind anderen Völkern überlegen: 11,3 % (Ost 12,1% , West 11,1%)
  • Es gibt wertvolles und unwertes Leben: 10,1 % (Ost 14,5 %, West 9 %)

 

Verharmlosung des Nationalsozialismus

  • Ohne Judenvernichtung wäre Hitler ein großer Staatsmann: 9 % (Ost 9,7 %, West 8,8 %)
  • Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind übertrieben: 8,1 % (Ost 7,8 %, West 8,2 %)
  • Der Nationalsozialismus hatte gute Seiten: 8,4 % (Ost 10%, West 8 %)

 

Autoritarismus als Persönlichkeitseigenschaft

Die Forscher sehen in autoritärem Denken einen Schlüsselfaktor für rechtsextreme Einstellungen. Autoritarismus ist der Wunsch nach einer Gesellschaftsstruktur mit Führungspersonen, die sagen, was zu tun ist und wer zu einer Gesellschaft gehört, auch wenn dadurch Gruppen ausgegrenzt, abgewertet und diskriminiert werden. Der Autorität wird sich unterworfen, aber auch, um an ihrer Macht teilzuhaben und andere abwerten zu können.

  • Rund 40 Prozent der Deutschen zeigen Merkmale eines autoritären Typus
  • Nur 30 Prozent sind dagegen ausdrücklich demokratisch orientiert.

Autoritäre Aggressionen sind bei 65 Prozent der Deutschen tiefgreifend ausgeprägt: Den Wunsch, Andersdenkende auszugrenzen, teilen zwei Drittel der Deutschen“, sagt Dr. Oliver Decker, im Osten sind die Zahlen noch höher. Knapp 40 Prozent der Ostdeutschen wollen wichtige Entscheidungen Führungspersonen überlassen, statt selbst zu entscheiden. Im Westen sind es 21 Prozent.

Rund 30,7 % bescheinigen die Forscher eine “Verschwörungsmentalität” (Ost: 33,9 %, West.: 29,8 %).

  • Die meisten erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird: 21,3 %
  • Es gibt geheime Organisationen, die auf Politik großen Einfluss haben: 29,0 %
  • Politiker sind nur Marionetten dahinter stehender Mächte: 30,8 %

Interessant auch: Fast 30 Jahre nach dem Mauerfall fühlen sich rund 30 Prozent als Bürger zweiter Klasse, wobei die Ost/West-Unterschiede nur gering sind.

Vor allem im Osten ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie von 27,3 im Jahr 2006 bis auf 46,9 Prozent heute angestiegen – was immer noch nur die Hälfte der Befragten ist.

 

Egalität - nur für mich!

Noch ein spannendes Ergebnis: 80 % der Befragten meinen: Alle Menschen in einer Gesellschaft sollten die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben (“Gleiche Rechte für alle Menschen sind ein wichtiges politisches Ziel). Gleichzeitig meinen aber auch 53,7 %: “Manche Gruppen sollten sich nicht wundern, dass der Staat ihre Rechte einschränkt”, sie stellten also in Frage, dass alle Menschen bzw. Gruppen die gleichen Rechte haben sollten. Und das heißt? Für sich selbst möchte man alle Rechte und Möglichkeiten - für andere aber nicht.

 

Zusammenfassend

stellen die Forscher fest, dass Rechtsextreme inzwischen in der AfD ihre politische Heimat finden und dass es eine starke Ausprägung rechtsextremer Einstellungen unter “Pegida”-Anhänger*innen gibt. Besonders in Ostdeutschland kommt dazu ein starker Anstieg rassistischer Einstellungen.

 

Die Studie

wurde geleitet von PD Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig in  Kooperation mit der Heinrich-Böll- und der Otto-Brenner-Stiftung.

Die Forscher befragten repräsentativ zu den Themen Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. In diesem Jahr wurden zudem autoritäre Persönlichkeitsmerkmale erfasst.

Alle Ergebnisse sind im Buch „Flucht ins Autoritäre“ erschienen.

Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg.):
Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2018.
328 S.

Weitere Informationen und ein PDF des Buches:

http://www.kredo.uni-leipzig.de

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Handlungsmöglichkeiten der Praxis: "Besorgte" Mutter und Vielfaltserziehung

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Wie auf eine Mutter eingehen, die besorgt ist, weil ihr Sohn sich die Fingernägel lackiert? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene II: Elternarbeit - Fall II.3: "Besorgte" Mutter

 

In ihrer Kita gibt es eine Verkleidungsecke mit Kostüm- und Schminksachen, welche die Kinder rege nutzen. Ein Junge lässt sich von ihnen die Fingernägel lackieren. Am nächsten Tag sucht dessen Mutter vehement ein Gespräch mit ihnen. Sie fragt, was das solle und erklärt, das habe einen schlechten Einfluss auf ihr Kind, Kinder sollten heutzutage nicht noch zusätzlich verunsichert werden; Jungen seien Jungen, Mädchen seien Mädchen und sie möchte, dass ihr Junge »später mal ein richtiger Mann wird«. Sie als Erzieher*in erklären, dass in ihrer Kita geschlechtliche Vielfalt und Toleranz begrüßt werden, Kinder sich ausprobieren können und dafür auch unterschiedliche Materialien zum Lesen und Spielen ausliegen, u.a. zum Schminken und Kostümieren. Die Mutter lehnt das lautstark ab, es fallen Worte wie »Frühsexualisierung« – hier sollten wohl Kinder mit dem »Genderquatsch« indoktriniert werden, sie erziehe ihre Kinder selbst.

 

In der beschriebenen Situation in der Kita geht es um altersgerechte pädagogische Angebote, die es Kindern ermöglichen, sich in unterschiedlichen Rollen und Inszenierungen auszuprobieren. Dies ist Teil der kindlichen Entwicklung. Die Annahme, Jungen würden sich nicht die Fingernägel lackieren, verweist auf geschlechtsspezifische, gesellschaftliche Zuschreibungen. Aus Perspektive von Kinderrechten, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und weiteren fachlichen Einschätzungen werden mit geschlechtsstereotypen Interventionen Bedürfnisse und Bedarfe des einzelnen Kindes nicht angemessen wahrgenommen. Kindern werden individuelle Entwicklungsmöglichkeiten abgeschnitten, sie verlieren »unpassende« Ausdrucksmöglichkeiten, werden auf »typisches« festgelegt – kurz: Sie werden beschränkt (siehe Interview mit Stephan Höyng). Jenseits dessen sind rechtsextreme Positionen in hohem Masse anschlussfähig an die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Anders gesagt: So finden sich beispielsweise sexistische Aussagen, stereotype Geschlechtervorstellungen (binäre und traditionelle Vorstellungen vom Junge- und Mädchen-Sein, Männlichkeit und Weiblichkeit) in vielen Milieus. Sie sind insofern anschlussfähig bzw. haben sie eine Brückenfunktion an rechtsextreme Ideologie. 

In der konkreten Bearbeitung des Falles würden wir empfehlen, die Mutter zu einem Einzelgespräch in die Kita einzuladen. Die aktuelle Gesprächssituation scheint nicht geeignet, um ein fachliches Gespräch mit ihr zu führen. In einem extra vereinbarten Einzelgespräch ist es möglich, die Vorteile der Pädagogik vielfältiger Lebensweisen und der Wahlfreiheit in Sozialisationsprozessen konstruktiv aufzuzeigen. Hilfreich ist die Grundannahme, dass die allermeisten Eltern ihre Kinder lieben und sie fördern und unterstützen. Die Wortwahl der Mutter (»Gender-Quatsch«, »Frühsexualisierung«, »richtiger Mann«) gibt Grund zu der Annahme, dass diese sich im Kontext (neu-)rechter oder fundamentalistischer Ideologien verortet oder bewegt. Daher wäre es gut, darauf vorbereitet zu sein, dass das Gespräch durchaus kontrovers verlaufen kann. Wichtig ist es, das Kindeswohl und das damit verbundene Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als Ziel des Gespräches im Blick zu behalten. Hier kann auch darauf verwiesen werden, dass sie in der Kita selbstverständlich dem Jungen weiterhin ermöglichen, sich vielfältig auszuprobieren und diese fachliche Haltung generell der pädagogischen Arbeit im Team zugrunde liegt. Der Dialog mit der Mutter kann eine wichtige Basis für eine strategische Arbeitsbeziehung sein, in der die Interessen und Bedürfnisse des Kindes im Vordergrund stehen.

Zudem wäre es förderlich, im Team darüber zu beraten, ob eine Fachveranstaltung mit externen Expert*innen für einen Elternabend zum Thema »Geschlechtliche Vielfalt« sinnvoll ist. Auf jeden Fall ist es hilfreich, pädagogisches Informations- und Fortbildungsmaterial zum Thema zu bestellen, den Kolleg*innen im Team und den Eltern zu empfehlen und in die pädagogische Arbeit mit den Kindern einzubeziehen. 

 

»Frühsexualisierung«

Bereits 2007 wird die Formulierung einer sogenannten »Frühsexualisierung« u.a. von Gabriele Kuby, ultra-konservative katholische Publizistin, in eine Debatte eingebracht, in der eine Broschüre des Bundesamtes für gesundheitliche Aufklärung für Eltern zum Thema kindliche Sexualität diskreditiert wird. Die Neue Rechte und christlich-fundamentalistische Akteur*innen haben dieses Wort aufgegriffen und verwenden es seitdem als Kampfbegriff, um geschlechtliche Vielfalt und Sexualaufklärung anzugreifen. Mit den Mobilisierungen gegen Bildungspläne greifen weitere gesellschaftliche Gruppen das Thema auf. Familistische, homofeindliche Initiativen wie die »Besorgten Eltern« und die »Demo für alle« können sich hierüber etablieren. Letztere
gehören wie die Initiative »Familienschutz« zum Kampagnennetzwerk »Zivile Koalition« von Beatrix von Storch (AfD). Die Initiative Familienschutz verschickt gezielt Flyer »gegen Gender und Frühsexualisierung« und verunsichert damit Eltern und Kita-Fachkräfte. Inhaltlich lässt sich festhalten: Die mit dem Wort »Frühsexualisierung« verbundenen Kampagnen entsprechen keinerlei fachlichen Erkenntnissen und Standards. Die Verwendung des Wortes »Genderquatsch« durch die Mutter in der beschriebenen Situation verweist auf einen weiteren Kampfbegriff der Neuen Rechten: »Genderwahn«. Diese Debatte begann 2006 im bürgerlichen Feuilleton und wurde umgehend von der rechtspopulistischen Zeitung »Junge Freiheit« aufgegriffen. »Gender« hat sich als Chiffre etabliert und fungiert als zentrale rechtsextreme Klammer gegen Gender Mainstreaming, Gleichstellungspolitiken, Gender Studies, Feminismus und Sexualaufklärung (vgl. zum Thema den Diskursatlas Antifeminismus, oder Laumann, Vivien/Debus, Katharina 2018: »Frühsexualisierung« und »Umerziehung«? Pädagogisches Handeln in Zeiten antifeministischer Organisierungen und Stimmungsmache. In: Lang, Juliane/Peters, Ulrich (Hrsg.): Antifeminismus in Bewegung. Hamburg: Marta Press, S. 275 – 301). 

 

Pädagogik der vielfältigen Lebensweisen

Kinder wachsen heute in einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft auf. Die Auseinandersetzung mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Menschen und die Beschäftigung mit Strategien von Antidiskriminierung und Solidarität werden daher in der pädagogischen Arbeit immer wichtiger. In Kitas sind Kinder meist zum ersten Mal in einer größeren Kindergemeinschaft. Sie haben dort die Möglichkeit, die Vielfalt an Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf der Grundlage von gleichen Rechten und gleichen Möglichkeiten kennenzulernen. Es gibt nicht die eine »Bilderbuchfamilie«, wie wir sie noch immer in den meisten Kinderbüchern vorfinden. Materialien in den Einrichtungen und der pädagogische Umgang sollte die Vielfalt von Lebensrealitäten
berücksichtigen, die für Kinder eine Rolle spielen. Das bedeutet möglichst einen Verzicht auf Klischees und Zuschreibungen. Eine Pädagogik der vielfältigen Lebensweisen zielt auf die Auseinandersetzung mit Grundfragen des vielfältigen menschlichen Zusammenlebens, z.B. durch die sichere und selbstverständliche Beschäftigung mit unterschiedlichen Familien (vgl. Queerformat 2013: Vielfalt fördern von klein auf, https://bit.ly/2tGmLxI, S. 18f.). Für Berlin hat die Initiative Queerformat einen Medienkoffer »Familien und vielfältige Lebensweisen« erarbeitet, der ausgeliehen werden kann. An den Materialien kann sich aber auch außerhalb Berlins gut orientiert werden: https://bit.ly/2MoCAkn und https://bit.ly/2yISDHT.

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

INHATE DER FACHSTELLE GENDER, GMF UND RECHTSEXTREMISMUS AUF BELLTOWER.NEWS 

 

DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

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Handlungsmöglichkeiten der Praxis: Feindschaft gegenüber Geflüchteten im Team

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Rassismus erzeugt auch Konflikte im Kita-Team. Wie lässt sich damit umgehen? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

 

Fall III.1: Feindschaft gegenüber Geflüchteten

 

Sie laden als Leiterin einer Kita das Team zu einem gedanklichen Austausch ein. Sie kündigen an, dass in Absprache mit dem Trägerverein nach den Sommerferien geflüchtete Kinder aufgenommen werden sollen. Sie möchten hierzu mit den Kolleg*innen in den fachlichen Austausch treten. Unmittelbar nach Ihrer Ankündigung äußert sich eine Kollegin emotional: »Wenn hier Flüchtlinge reinkommen, dann werde ich sofort schwanger oder kündige.« Die Kollegin erhält Unterstützung von einer anderen langjährigen Mitarbeiterin. Gegenwind wird deutlich, als der neue Praktikant von der Hochschule durchaus ebenso emotional äußert, dass er dies äußerst rassistisch finde und in solch einer Kita nicht arbeiten wolle. 

 

Hier zeigt sich ein Konflikt im Team. Als Leitungskraft sind Sie herausgefordert, unmittelbar auf zwei Ebenen zu reagieren: Zum einen ist es unabdingbar, Rassismus und Geflüchtetenfeindlichkeit zurückzuweisen – grundsätzlich und in der Form, wie es in der Aussage deutlich wird. Zum anderen ist es wichtig, dies auf eine Art und Weise zu tun, die es ermöglicht, mit der Kollegin im Gespräch zu bleiben. Hilfreich wäre unmittelbar nachzufragen, warum sie diese Aussage trifft und welche Erfahrungen damit konkret verbunden sind. Hier geht es darum, Dialogbereitschaft zu signalisieren, das Thema aber auf eine sachliche Ebene zu bringen. Gleichzeitig wird kenntlich gemacht, dass problematische Aussagen nicht hingenommen, stehengelassen oder gar geteilt werden.

Je nachdem, wie die Kollegin sich äußert, kann es verschiedene weitere Schritte erfordern. Handelt es sich um eine spontane, möglicherweise eine auf Überforderung zurückzuführende Aussage, die nicht ideologisch gefestigt ist, so ist es wichtig, sachliche Informationen zum Thema Flucht und der Situation geflüchteter Kinder sowie über pädagogische Konzepte zu geben. Auch weiterhin ist es nötig, mit der Kollegin in Kontakt und kontinuierlich über das Thema im Dialog zu bleiben. Die Informationen können zum Beispiel über (interne) Fortbildungen, fachliche Weiterbildungen und pädagogische Strategien in der Arbeit mit geflüchteten Kindern vermittelt werden. Grundsätzlich kann es sinnvoll sein, auf diskriminierende Aussagen so zu reagieren, dass man nach konkreten Erfahrungen mit realen Menschen fragt. In den allermeisten Fällen lässt sich hinsichtlich der Antwort herausstellen, dass es sich um Gerüchte und Mythen handelt oder um Aussagen, die in unzulässiger Weise verallgemeinern. Der Bezug auf gemachte Erfahrungen ermöglicht insofern eine Entmystifizierung und verpflichtet auf die konkrete Praxis.

In der konkreten Reaktion ist es sinnvoll, den Praktikanten inhaltlich zu bestärken und auf seine kritische Haltung positiv zu verweisen. Es kann sinnvoll sein, seine Aussage berufsethisch und menschenrechtlich weiter auszuformulieren. Das kann beinhalten, darauf zu verweisen, dass alle Menschen und damit auch alle Kinder gleichwertig und gleichberechtigt sein sollten und ein Recht auf gleiche Chancen, auf Bildung und Partizipation in der Gesellschaft haben sollten. Sollte im Verlauf dieser Diskussion (oder auch darauf folgenden) deutlich werden, dass die betreffende Fachkraft von Hass geprägt ist und ihre Aussagen auf eine rassistische Ideologie bzw. entsprechende Weltanschauung deuten, bedarf es weiterer Schritte. Hierzu ist es sinnvoll, den Träger um Unterstützung zu bitten. Eine Vorbereitung hierfür besteht darin, im Protokoll der Sitzung oder des gedanklichen Austausches mit der Kollegin die Kontroverse mit konkreten Aussagen (Wortlaut) festzuhalten. Dies sollte für alle Teilnehmenden transparent sein. Perspektivisch sollte ein Gespräch zwischen Trägerleitung und der Fachkraft anberaumt werden, in dessen Verlauf deutlich wird, dass die geäußerte Meinung konträr zu den fachlichen Standards und dem demokratischen Leitbild der Kita (vgl. Ebene IV) steht. Für das weitere Vorgehen sollten für diesen Fall u.U. arbeitsrechtliche Schritte in Betracht gezogen werden (siehe dazu die folgenden Fälle).

Die Fallbeschreibung zeigt, dass eine weitere Kollegin der Aussage zustimmt. Was sich hier andeutet, ist eine Situation, die uns in unserer Beratungstätigkeit seit 2016 häufiger begegnet: Kita-Leitungen oder Kolleg*innen erleben Situationen, in denen sie nicht mehr selbstverständlich von einem menschenrechtlichen Konsens im Team (oder auch in Elternversammlungen) ausgehen können. Dies ist eine Herausforderung und es gibt hierfür keine einfachen Lösungen. Es empfiehlt sich, sich im Team über das Selbstverständnis auszutauschen und Raum für Bedenken und Ängste zu geben. Als Einrichtungsleitung sollte man sich darüber bewusst sein, dass mediale Diskurse auch auf die Mitarbeiter*innen in der Einrichtung einwirken. Nur wenn Vorurteile und Ressentiments geäußert werden, können sie bearbeitet werden. Es ist daher sinnvoll, durch Schulungen mehr Wissen zu vermitteln über die Situation von Geflüchteten in Deutschland und den Herkunftsländern, die Asylpolitik und Regelungen sowie Alltag von Unterbringungen.

Durch Wissen und Empathie lassen sich Vorurteile abbauen. Leider gehört dazu auch, sich auf Angriffe flüchtlingsfeindlicher Akteur*innen im Sozialraum vorzubereiten oder darauf zu reagieren, ebenso auf Vorurteile und Äußerungen von Eltern. Nicht selten werden soziale Anliegen, z.B. die Ausstattung in Kindertagesstätten, durch rechtspopulistische Akteur*innen instrumentalisiert – unter dem Motto »zuerst an unsere Kinder denken«. Eine Kita, die sich offen zu ihrer Willkommenskultur
bekennt, kann feindlichen Angriffen und Vorwürfen ausgesetzt sein. In solchen zugespitzten Situationen ist es notwendig, Expert*innen aus der Rechtsextremismusprävention hinzuzuziehen und ggf. über Schutzkonzepte zu sprechen.

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

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DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

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Handlungsmöglichkeiten der Praxis: Wahrnehmung von Rassismus

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Was tun, wenn Rassismus in der Kita sichtbar wird - etwa im Umgang mit Kolleg*innen oder in der Beschreibung von Kindern? Diese Fragen beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

 

Fall III.1: Wahrnehmung von Rassismus

 

Sie arbeiten in einer größeren Einrichtung als Leiter*in mit Kolleg*innen mit verschiedenen ethnischen und kulturellen Zugehörigkeiten. Ihnen fällt eine Kollegin auf, die gegenüber anderen Kolleg*innen ohne Migrationsgeschichte wertschätzend und freundlich ist, gegenüber migrantischen Kolleg*innen sehr stark distanziert, manchmal unfreundlich. In einem Nebengespräch unter Kolleg*innen, das sie als Leiterin mithören, äußert sich diese Kollegin abwertend gegenüber einem Jungen, der in einer Familie aufwächst, in der die Großeltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind. Sie sagt: »Kein Wunder, dass der so häufig andere Kinder schlägt, dem werden zu Hause als Junge eh keine Grenzen gesetzt, der darf eh alles und viel mehr als seine Schwestern«. 

 

In der Fallbeschreibung wird als Erstes eine Situation geschildert, in der die Möglichkeit einer Ungleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen durch eine Kollegin angedeutet wird. Auch wenn es sich hierbei erst einmal um eine Wahrnehmung handelt, die in einem Gespräch nicht immer und unmittelbar nachvollziehbar vermittelt werden kann, ist es wichtig, diese ernst zu nehmen. Im Sinne der Parteilichkeit mit von Ausgrenzung und Diskriminierung Betroffenen gilt es, hier genauer hinzusehen und die Bedarfe und Bedürfnisse von rassismuserfahrenen Personen zu erfragen und diese ggf. zu unterstützen. In der folgenden Situation hören Sie eine Aussage mit, in der die Kollegin sich kulturalisierend und damit rassistisch abwertend äußert. Nicht mehr der einzelne Junge und dessen Familie werden betrachtet, sondern diese als Vertreter*innen einer »Kultur«. Damit geraten individuelle pädagogische Handlungsmöglichkeiten aus dem Blick. Das Verhalten wird rein »aus deren Kultur« »erklärt«. Kinder mit türkischem Familienhintergrund werden damit als »andere« markiert und generalisierend abgewertet. Je nach Situation und Konflikttyp ist es hier möglich, entweder unmittelbar in die Unterhaltung einzugreifen und auf die problematisch-rassistischen Aussagen hinzuweisen, nachzufragen, sich zu positionieren und das Gespräch zu suchen. Möglich ist auch, dies im Nachgang in einem persönlichen Gespräch weiter auszuführen und zu erklären. Perspektivisch
kann es hilfreich sein, für das Team rassismuskritische Fortbildungen anzubieten und über das Thema im Gespräch zu bleiben.

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

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Handlungsmöglichkeiten der Praxis: Flüchtlingsfeindliche Postings

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Screenshot Facebook, 06.11.2018

Was tun, wenn sie ein rassistisches Posting sehen - und es ist von einer Kollegin aus der Kita? Diese Fragen beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin), Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg) und Simone Rafael (Belltower.News).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV.3: Flüchtlingsfeindlic​he Postings

 

Sie sind Erzieherin in einer Kita. Auf Facebook sehen Sie ein Posting einer Kollegin, das ihre Arbeit betrifft: »Wenn wir tatsächlich demnächst mit Flüchtlingskindern arbeiten müssen, werden die schon sehen was sie davon haben. Ich werde ihnen das Leben zur Hölle machen.«

 

Ein solches Posting ist grundsätzlich schockierend, unabhängig davon, ob ihnen die schreibende Person bekannt ist. Schockierend ist es, weil es eine offene rassistische Herabwürdigung von Kindern beinhaltet sowie die Drohung, die ablehnende Haltung an geflüchteten Kindern und/oder ihren Eltern auszuleben. Handelt es sich um eine Kollegin, kommt eine persönliche Ebene hinzu und damit eine Verantwortlichkeit. Diese persönliche Ebene bringt manche Menschen dazu, zu schweigen. Das ist kontraproduktiv und widerspricht fachlichen Standards. Die persönliche Ebene kann durchaus eine Chance beinhalten. Wenn ein persönlicher Kontakt vorhanden ist, besteht die Möglichkeit, über das Posting zu sprechen. Diese Diskussion sollte – bei persönlicher Bekanntschaft – nicht in der Facebook-Öffentlichkeit geschehen, also nicht durch einen öffentlichen Kommentar oder gar Streit unter dem Posting, sondern per Privatnachricht und/oder als persönliches Gespräch. Hierbei empfiehlt es sich, nach den Beweggründen zu fragen und verständlich zu begründen, warum der Post rassistisch und problematisch ist. Weiterhin gilt es, eine kritische Reflexion anzuregen und Hilfe anzubieten. Sie können darauf hinweisen, dass es dem persönlichen und beruflichen Ansehen der Erzieherin selbst schadet, gegen Geflüchtete zu hetzen – und auch dem Arbeitgeber, soweit er in ihrem Profil benannt wird. Sollte sich die Erzieherin einsichtig zeigen und den Post löschen, müssen keine weiteren arbeitsrechtlichen Schritte bedacht werden. Gleichzeitig sollten sie jedoch das Thema Anti-Rassismus als Querschnittsthema in ihr Team im Sinne von Fortbildungen und Auseinandersetzungen einbringen. Außerdem sollten Sie im Weiteren die Online-Aktivitäten und Offline-Positionierungen der Kollegin im Auge behalten.

Sollte die Erzieherin ihren Post verteidigen oder sogar weitere rassistische Aussagen machen oder ist das Posting nur ein rassistischer Vorfall in einer ganzen Reihe von Vorfällen (online oder offline), ist ein Gespräch mit der Kitaleitung angebracht. Wir verweisen an dieser Stelle auf die weiter oben genannten Schritte. Die Leitung sollte ein Gespräch mit der Erzieherin suchen, die Tragweite ihrer Handlung sowie den Konflikt mit dem berufsethischen Selbstverständnis von Pädagog*innen und dem Leitbild der Einrichtung verdeutlichen. Für Leitungskräfte ist es hilfreich, über mögliche arbeitsrechtliche Schritte bezogen auf den Online-Bereich und die damit verbundene aktuelle Rechtsprechung informiert zu sein. Die Leitung der Einrichtung sollte sich ggf. mit ihrem Träger oder Dachverband absprechen, um juristische Expertise im Zuge einer angestrebten Kündigung hinzuzuziehen. Seit einiger Zeit ist es unter bestimmten Bedingungen möglich geworden, Arbeitsverträge zu kündigen, wenn die
Arbeitnehmer*in sich in sozialen Netzwerken rassistisch, antisemitisch oder menschenfeindlich hetzend äußert – allerdings muss bei einem Posting in sozialen Netzwerken der Bezug zur Einrichtung klar vorhanden sein, etwa durch Nennung des Arbeitgebers.

Sie sollten allerdings auch über einen Umgang nachdenken, wenn eine Trennung nicht möglich ist. In diesem konkreten Fall spricht die hetzende Person eine Bedrohung gegenüber geflüchteten Kindern aus, mit denen sie möglicherweise zeitnah arbeiten wird. Sie verlässt damit jede fachliche und menschenrechtliche Ebene. Offensichtlich ist es nicht empfehlenswert, sie mit geflüchteten Kindern arbeiten zu lassen. Auch ihr Umgang mit anderen Kindern in Bezug auf Ausgrenzung und Diskriminierung sollte betrachtet werden. Bei größeren Trägern kann vielleicht eine andere Aufgabe im Bereich der Verwaltung gefunden werden. Das Posting ist zwar rassistisch, aber nicht strafrechtlich relevant. Es nützt also nichts, das Posting beim sozialen Netzwerk zu melden oder bei der Polizei anzuzeigen. Dies gilt auch für Postings die rassistisch argumentieren, aber noch keine Drohung beinhalten, wie »unsere Einrichtung zerfällt aber für die ist Geld da« oder ähnliche. Wenn es in einem sozialen Netzwerk in einer Gruppe geschieht, besteht die Möglichkeit, es den Administrator*innen der Gruppe als unangemessen zu melden, um ein solches Posting zu löschen. Sie sollten allerdings einen Screenshot anfertigen, falls Sie einen Beleg für das Posting brauchen, etwa für ein späteres Gespräch mit der Kitaleitung. Bei Unsicherheiten, ob ein Posting strafrechtlich relevant ist, gibt es Adressen im Internet27, die helfen können. Hier sitzen Expert*innen und Jurist*innen, die versuchen, strafbare oder  jugendgefährdende Inhalte aus dem Netz zu bekommen.

Des Weiteren verfügen Sie auch über Handlungsmöglichkeiten, wenn eine Ihnen nicht bekannte Erzieherin diesen Inhalt posten würde. Natürlich könnten Sie diese mit einer persönlichen Nachricht anschreiben oder unter ihrem Posting kommentieren – allerdings ist die Bereitschaft, sich mit Kommentaren von Fremden auseinanderzusetzen, in der Regel eher gering. Sollte die Erzieherin ihren Arbeitgeber im Profil angegeben haben, können Sie ihn über das Verhalten der Mitarbeiterin informieren. Denn wenn Sie, als außenstehende Person, diese Verbindung herstellen können, dann ist es auch für den Arbeitgeber relevant, da auch Eltern sich an dieser öffentlichen Äußerung stören können. Zu beachten ist allerdings, dass Menschen im Internet manchmal
falsche Arbeitgeber angeben. Daher ist es wichtig, nicht zum Shitstorm auf eine Einrichtung oder einen Träger aufzurufen (»XY beschäftigt Rassistinnen!«), sondern das Gespräch zu suchen.

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

INHATE DER FACHSTELLE GENDER, GMF UND RECHTSEXTREMISMUS AUF BELLTOWER.NEWS 

 

DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

 
Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Rechtspopulismus und Diskriminierung in der Kita: Handlungsempfehlungen für die Pädagogik

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Symbolbild Kita.
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Wie können Sie Diskriminierung und Abwertung im Kita-Alltag entgegentreten? Welche einfachen Veränderungen sorgen für mehr Vielfalt und Anerkennung? ​Handlungsempfehlungen aus der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung. 

 

Von Enrico Glaser und Judith Rahner (Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus)

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

Die in dieser Handreichung vorgestellten Fälle aus der Praxis sowie die nachfolgenden unterschiedlichen Perspektiven von Kooperationspartner*innen geben eine Fülle an Handlungsempfehlungen und Tipps in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Hier werden diese zusammengefasst – und um Hinweise für Materialien und nützliche Quellen ergänzt. Die Handlungsempfehlungen nehmen auf unterschiedliche Ebenen in Kitas und Kindertagesbetreuungen Bezug: auf die pädagogische Arbeit mit Kindern, die Arbeit und Erziehungspartnerschaften mit Eltern und Erziehungsberechtigten, das Zusammenwirken im Team, Verantwortlichkeiten von Leitungen und Einrichtungs- bzw. Angebotsträgern, Fragen der Materialauswahl und -verwendung sowie der Einrichtungsgestaltung. Alle diese unterschiedlichen Ebenen sind relevant, um effektiv gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung vorzugehen.

 

Pädagogische Arbeit mit Kindern 

Grundlegend ist eine pädagogische Arbeit, die sich an Demokratie und Diversität orientiert. Dabei geht es zum einen darum, Unterschiedlichkeit und Diversität in der Kita abzubilden und erfahrbar zu machen – z.B. dadurch, dass Kinder oder Erzieher*innen unterschiedlicher Herkunft oder mit vielfältigen religiösen Bezügen oder Befähigungen selbstverständlicher Teil der Einrichtung sind. Zum anderen ist es wichtig, mit Vielfalt fachlich professionell umzugehen. Das bedeutet, die Kinder als Individuen in den Fokus zu stellen, sie als solche anzusprechen und sie nicht auf vermeintliche Zugehörigkeiten zu einer Gruppe zu reduzieren oder als »die Türken« oder »muslimischen Kinder« zu adressieren oder anzusprechen. Damit können starre Zuschreibungen und stereotype Rollen- oder Gruppendefinitionen mit festen Eigenschaften vermieden werden. Die sozialen Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten von Kindern sollten jedoch nicht tabuisiert werden, stellen diese doch eine mögliche Grundlage für Marginalisierungs- und Diskriminierungserfahrungen von Kindern und deren Familien dar. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit Fluchtgeschichte oder mit homosexuellen Eltern diskriminierende Erfahrungen gemacht haben, ist sehr  hoch. Entsprechend sensibel und fachlich professionell ist mit diesen Erfahrungen umzugehen. Kinder mit solchen (potenziellen oder vermuteten) Erfahrungen gilt es zu empowern – also zu stärken –, ohne sie als »andere« zu stigmatisieren. Hier helfen zum Beispiel Kinderbücher und Spielmaterialien, die nicht nur eine Norm wiedergeben oder Mehrheiten darstellen, sondern vielfältige Identifikationsangebote zur Verfügung stellen (s. unten). So kann die Heldin in einem Kinderbuch ein muslimisches Mädchen sein oder der Junge im Rollstuhl. Eine Repräsentationsvielfalt in der Kita wirkt sich auch positiv auf das Denken von Kindern ohne Diskriminierungserfahrungen aus. Es baut Stereotype ab und verhilft zu einer positiven Haltung gegenüber Vielfalt.

Darüber hinaus sind ein aktives Eintreten und eine Positionierung vonseiten der Fachkräfte im Falle von Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung notwendig. Für den Umgang mit Kindern bedeutet das, ein »Verständnis für faires und unfaires Verhalten [...] zu fördern« und von Diskriminierung betroffene Kinder darin »zu bestärken sich zu wehren und bei anderen Kindern ein helfendes Verhalten zu befördern«, wie es in der Broschüre »Fair in der KITA« des Antidiskriminierungsbüros
Sachsen heißt.

■ Die Broschüre »Fair in der KITA« des Antidiskriminierungsbüros Sachsen (2010) vermittelt Grundlagen einer Pädagogik der Antidiskriminierung und versammelt praktische Tipps: https://bit.ly/2M3qfWp

■ Weitere »Grundlagen für eine diskriminierungsfreie Pädagogik im Kindergarten« enthält eine Broschüre von Reachout Berlin (2017): https://bit.ly/2ObJwCm

 

Diskriminierung im Kitaalltag

Kinder erfahren täglich – auch in der Kita –, was als »normal« gilt. Sie lernen, welche Herkunft besser angesehen ist und welche kulturellen und sozialen Lebensweisen oder Identitäten als Abweichung wahrgenommen werden. Auch wenn der Umgang von Kindern mit Differenz meist spielerisch geschieht, kann er doch für einige Kinder ausschließend sein und sie als andere markieren. Unreflektierte, aber dennoch rassistische, sexistische oder homofeindliche Alltagshandlungen sind weit verbreitet. Diese Handlungen haben einen Einfluss auf die Unvoreingenommenheit von Kindern.

Sensible und bewusste Sprache

Um dem entgegenzuwirken, ist zunächst auf die Sprache zu achten. Sprache drückt Wirklichkeit aus. Äußerungen haben immer auch eine Wirkung, die verletzend oder wertschätzend sein kann. Über Sprache werden Werte, Vorstellungen und Normen vermittelt. Sprache und nonverbale Kommunikation spiegeln gesellschaftliche Strukturen und Verhältnisse wider. Diese gilt es, sich bewusst zu machen. Wird eine Sprache in den Kategorien wir und die anderen verwendet? Werden bestimmte Kinder aufgefordert, uns doch mal von den Bräuchen und Traditionen ihrer oder seiner Kultur zu erzählen? Damit wird dem Kind das Gefühl gegeben, anders zu sein als die anderen Kinder. Den anderen Kindern wird wiederum signalisiert, dass dieses Kind anders sei. Es gibt nicht die eine nichtdiskriminierende Sprachform oder Bezeichnung, aber eben auch keine neutrale Bezeichnung für »alle«. Deshalb sollten Personen und Gruppen möglichst genau und differenziert bezeichnet werden. Es sollte danach gefragt werden, ob eine Kategorisierung und Zuordnung zu einer Gruppe, z.B. mit Migrationsbezügen oder mit bestimmter religiöser Sozialisation, überhaupt nötig ist. Eigenbezeichnungen von Gruppen oder Personen gilt es immer zu respektieren. Ein sensibler Sprachgebrauch trägt zur Gleichberechtigung aktiv bei. 

 

Abbild von Vielfalt in der pädagogischen Ausstattung

Für eine primärpräventive Arbeit bzw. eine Arbeit für Vielfalt und Demokratie ist es wichtig, dass sich Repräsentationen von Vielfalt in pädagogischen Materialien und in der Einrichtungsgestaltung widerspiegeln. Gibt es zum Beispiel eine Barbie als Naturwissenschaftlerin und ist sie Schwarz? Ist die Figur im Rennauto von Lego schwul? Gibt es Hautfarbenstifte und Bücher über außergewöhnliche Frauen? Das betrifft also verwendetes Spielmaterial, Bilder oder Aushänge sowie Ansprachen von Kindern und Eltern. Ein zugewandter und wertschätzender Umgang mit Vielfalt sollte unterschiedliche kulturelle, soziale oder religiöse Hintergründe und vielfältige Lebensweisen auf Augenhöhe einbeziehen.

 

Kinderbücher

Was für Kinderbücher liegen in der Kita aus? Gibt es nur weiße Protagonist*innen darin? Wer wird als normal beziehungsweise von der Norm abweichend dargestellt? Welche Figuren, Mädchen oder Jungen, sind handlungsfähig, welche sind passiv? Haben Schwarze Kinder in Büchern eine Sonderrolle oder haben sie Rollen, die weiße Kinder auch haben könnten?

■ Die Fachstelle Kinderwelten empfiehlt Bücher für eine vorurteilsbewusste, inklusive Praxis: https://bit.ly/2Oioi63

■ Die intersektionale Kinderbuchliste der Initiative I-Päd aus Berlin enthält Bücher, die gegen Ausschlüsse, Diskriminierung, Unter- oder Fehlrepräsentationen wirken oder Themen ansprechen, die Kindern gegenüber oft verschwiegen oder zu wenig besprochen werden: https://bit.ly/2MoGKZY

 

Spielen und Spielzeug

Gibt es nur weiße Puppen in der Kita? Das verstärkt die Wahrnehmung, dass Weißsein die Norm ist und Schwarzsein bzw. »of color« die Abweichung davon. Das prägt nicht nur ein rassistisches Selbstverständnis der weißen Kinder, die sich aufgewertet fühlen können, sondern beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder of color, welche keine Vorbilder oder Orientierungspersonen im Kita-Alltag haben.

■ Die Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung hat mit »Persona Dolls®« Puppen entwickelt, die für Kinder unterschiedlichster Herkunft und Familienkultur stehen. Die Puppen werden von der Fachstelle im Zusammenhang mit Fortbildungen angeboten, bei denen in Grundlagen und Methodik einer vorurteilsbewussten Arbeit mit Kindern eingeführt wird: https://bit.ly/2LWRRNx

■ Werden Spiele wie »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?« oder »Schwarzer Peter« gespielt? Das ist problematisch, da damit das Verständnis von schwarz als schlecht, böse und bedrohlich vermittelt wird. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften hat eine Spielzeug-Positivliste mit vorurteilsbewusstem Spielzeug veröffentlicht: https://bit.ly/2MaQABM

 

Demokratiepädagogik und Pädagogik der geschlechtlichen Vielfalt

Vor allem in Zeiten, in denen rechtspopulistische und -extremistische Strömungen erstarken, muss Demokratiepädagogik aufgewertet werden. Demokratie soll dabei nicht Lerngegenstand sein, sondern für Kinder erlebbar werden. Demokratiepädagogik meint, ein demokratisches Miteinander im Alltag und in der Lebenswelt der Kinder zu fördern. Ansatzpunkte können Kinderrechte, Mitgestaltung und Aushandlungsprozesse unter und mit den Kindern sein. Demokratieförderung bedeutet grundlegend eine Förderung von Geschlechtergerechtigkeit. In der pädagogischen Praxis heißt das, Kinder unabhängig von ihrer Zuordnung als Mädchen oder Junge ernst zu nehmen und ihnen keine Rollenerwartungen von Mädchen-/Jungesein aufzustülpen.

Das Nichtregulieren von Kinderinteressen ist ein erster Schritt: Kinder können darin ermutigt werden, sich jenseits starrer Geschlechterkonzepte zu bewegen. Eine geschlechtersensible Pädagogik ermöglicht die Förderung der individuellen Persönlichkeiten und Potenziale der Kinder. Die fachliche Auseinandersetzung darum, dass Geschlecht sozial konstruiert und erlernt wird und Geschlechterrollen veränderbar und je nach Zeit und Kontext anders verstanden werden, beugt
vor, Kinder nach Geschlechtern zu sortieren und danach zu bewerten. Das befreit die Kinder von Einschränkungen (»Lisa, lass das, das ist nichts für Mädchen«) und baut zugleich Vorurteile ab, z.B. gegenüber Homosexualität (»der Junge spielt wie ein Mädchen, der ist bestimmt schwul«). Es ermöglicht allen Kindern eine freie Entwicklung ihres Selbst, öffnet den Blick auf transsexuelle und intergeschlechtliche Kinder und signalisiert »Regenbogenfamilien«, dass sie in der Kita willkommen
sind.

■ Empfehlungen für ein inklusives pädagogisches Handeln im Kita-Alltag im Umgang mit Geschlechtervielfalt und Familienvielfalt gibt die Broschüre »Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben« von Queerformat (2018): https://bit.ly/2IQcZz7

■ Wichtige Anregungen zu geschlechterreflektierender Arbeit im Kontext Rechtsextremismus gibt die Handreichung der Amadeu Antonio Stiftung »Demokratie ist (k)ein Kindergeburtstag«: https://bit.ly/2MmA0vg

 

Arbeit mit Eltern

Grundlegend für die Arbeit mit Eltern ist der transparente und beteiligungsorientierte Umgang mit Einrichtungsausrichtung, Leitbild und pädagogischem Konzept. In Vorbereitung und Ausgestaltung der Erziehungspartnerschaft können Themen mit Eltern besprochen werden, um deren Sichtweise und Wünsche zu erfahren, aber auch um die Haltung des Teams sowie die Einrichtungskultur deutlich zu machen.

 

Arbeit mit extrem rechten Eltern

In der Arbeit mit extrem rechten Eltern stehen Fachkräfte vor einer schwierigen Situation. Sie müssen rechtsextreme Orientierungen, die durch Äußerungen, Handlungen oder Symbole der Eltern und der Kinder auffällig werden, deutlich zurückweisen. Zugleich ist ihre Elternrolle anzuerkennen. Das heißt: die Eltern wertzuschätzen, ihre Verantwortung für das Kind anzuerkennen und sie für eine Kooperation bei Betreuung, Erziehung und Bildung des Kindes zu gewinnen. Die Wahrnehmung eines rechtsextremen Hintergrundes bedarf einer aufmerksamen Beobachtung und eines spezifischen Wissens um Praktiken und Symbole der rechtsextremen Szene. In Hausordnungen kann festgelegt werden, welche Symbole und Bekleidung in der Kita  unerwünscht sind. Diese Regelungen können über »verbotene« Symbole hinausgehen. Für Gespräche und Interventionen empfiehlt sich ein abgesprochener und professioneller Umgang als Team, einzelne Kolleg*innen dürfen hierbei nicht allein gelassen werden. Häufig machen andere Eltern auf rechtsextreme Probleme in Einrichtung und Elternschaft oder im Gemeinwesen aufmerksam. Ihre Anregungen sind wertvoll und unbedingt in die Einrichtungsausgestaltung einzubeziehen. Für Elternabende zu den hier behandelten Themen empfiehlt sich die Hinzuziehung externer Expert*innen, z.B. von Beratungsnetzwerken.

■ Tipps zum Umgang mit rechtsextremen Eltern gibt »Eine Broschüre über Rechtsextremismus als Thema in der Kita« von Eva Prausner und Kerstin Palloks, herausgegeben vom Projekt ElternStärken/ pad gGmbH (2017): https://bit.ly/2N23Gir

■ Empfehlungen zur Erziehungspartnerschaft und deren Ausgestaltung gibt eine Broschüre der Deutschen Liga für das Kind (2017) »KindgeRECHT von Anfang an: Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte, Kindertagespflegepersonen, Einrichtungsleitungen, Träger, Jugendämter, Fachverbände und Verantwortliche in Verwaltung und Politik«: https://bit.ly/2AKGX8n

 

Team, Leitung und Einrichtung

Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich im Team den hier behandelten Themen zu widmen und ihnen Zeit und Raum zu geben. Im Team sollte für eine Haltung bezüglich Demokratie, Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sensibilisiert werden. Es besteht die Möglichkeit, die Haltung von Kolleg*innen kennenzulernen, sich darüber und über Unsicherheiten auszutauschen und gemeinsam an Fällen zu arbeiten, z.B. in einer kollegialen Fallberatung. Es gilt, einen gemeinsamen Umgang zu finden und sich dazu abzustimmen, wie die Haltung in der Arbeit und in der Einrichtung sichtbar und erlebbar gemacht werden kann. Dies bedarf einer Offenheit gegenüber Reflexionen, Fortbildungen und ggf. externer Beratung. Hilfreich ist es, »vorbeugend« Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen, die in Krisen oder schwierigen Situationen Begleitung anbietet. 

 

Leitbild und Hausordnung

In einer gemeinsamen Entwicklung eines Leitbildes im Team sowie abgestimmt mit den Eltern sollten themenrelevante Punkte aufgenommen werden – etwa: »Wofür stehen wir?« oder »Wovon grenzen wir uns ab?«. Auch eine Hausordnung kann vereinbart werden: mit klaren Regeln, die in der Einrichtung gelten, und Handlungsweisen oder Äußerungen, die ausgeschlossen werden, z.B. rechtsextreme oder gewaltverherrlichende Symbole, Bekleidung und feindselige Äußerungen. Es empfiehlt sich eine Abstimmung und Diskussion im gesamten Team sowie mit den Eltern. Wenn sich Leitbild, Hausordnung und Konzept der Einrichtung klar zu demokratischen Grundwerten, Menschen- und Kinderrechten positionieren, wird ein deutliches Signal gesetzt – auf welches sich im Konfliktfall auch berufen werden kann.

Team und Träger sollten geschlossen auftreten, sich klar positionieren und den demokratischen Standpunkt der Einrichtung sowie ihr ethisches Mandat präsentieren. Um möglichen Ängsten und Unsicherheiten von Mitarbeiter*innen begegnen zu können, bieten sich Supervisionen, kollegiale Fallberatungen sowie Fortbildungen und Argumentationstrainings zu Rechtsextremismus, Rassismus oder Sexismus an. Die Verantwortung von Trägern und Leitung bezieht sich vor allem darauf, Ressourcen dafür bereitzustellen, Zeiten einzuräumen und die Bereitschaft zur Professionalisierung zu bestärken.

■ Beispiele für Formulierungen von Leitbildern finden sich in der Broschüre »Wer kommt denn da sein Kind abholen? Eine Orientierung im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Kindertagesstätten«, herausgegeben vom Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung (2014): https://bit.ly/2ALhJa4

■ Die Broschüre »Miteinander. Eine Handreichung der Wohlfahrtsverbände zum Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus”, herausgegeben vom AWO Bundesverband e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V., Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. (2017), verweist auf Handlungsmöglichkeiten in Team, Einrichtung und Elternschaft: https://bit.ly/2ALe6kz

 

Rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen

Rechtliche Regelungen, Bildungspläne oder Bildungsrahmenpläne, aber auch Verbandskonzeptionen und Richtlinien stellen wichtige Grundlagen für Fachkräfte und Einrichtungen dar. Sie strukturieren und legitimieren die Arbeit.

■ Wichtige Rechtsnormen für die Arbeit hat die Deutsche Liga für das Kind (2017) veröffentlicht »KindgeRECHT von Anfang an: Übersicht über relevante Rechtsnormen für die frühe Kindertagesbetreuung«: https://bit.ly/2newTLp

Bildungspläne sind bundesweit auf Länderebene unterschiedlich gestaltet. Die hier behandelten Themen haben ebenso unterschiedlich Eingang gefunden. Ein gutes Beispiel stellt das Berliner Bildungsprogramm für Kitas dar, sowohl bezüglich des Bildungsverständnisses als auch der formulierten Ziele. So heißt es unter dem Stichwort Inklusive Bildung: »Demokratisch verfasste Gesellschaften sind verpflichtet, jedem Menschen das gleiche Recht auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit und auf die Teilhabe an der Gemeinschaft zu sichern. Bildungsprozesse sind deshalb so zu gestalten, dass alle Kinder bei unterschiedlichen Voraussetzungen gleiche Bildungschancen und ein Recht auf aktive Beteiligung an allen Entscheidungen haben, die sie betreffen« (S. 18). In den Zielen pädagogischen Handels wird angeführt: »Die Ziele im Berliner Bildungsprogramm gründen auf Grundwerten und Grundrechten einer demokratisch verfassten Gesellschaft«.

■ Grundsätzliche Überlegungen zur ethischen Fundierung und Ausgestaltung pädagogischer Beziehungen finden sich in den »Reckahner Reflexionen – ein Manifest für Pädagog_innen«. Das Angebot von Leitlinien für eine freiwillige Selbstverpflichtung zur ethischen Orientierung eignet sich auch zur Diskussion im Team sowie für die Ausgestaltung von Leitbildern und Konzeptionen: https://bit.ly/2M2AoTi

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

 

INHATE DER FACHSTELLE GENDER, GMF UND RECHTSEXTREMISMUS AUF BELLTOWER.NEWS 

 

DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

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Gegendarstellung: Die Amadeu Antonio Stiftung ruft nicht zum Beschnüffeln von Eltern auf

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Heute wird eine Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung auf der Titelseite der BILD-Zeitung angegriffen. Schade dabei: An den Vorwürfen ist nichts richtig.
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Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung hat eine Handreichung herausgebracht, deren Inhalte Sie bereits in den letzten Tagen auf Belltower.News lesen konnten: „Ene, mene, muh – und raus bist du! Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“. Es geht um Ideen für den Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Rassismus im Kita-Kontext. Drei Monate später haben rechtspopulistische Blogs das Thema entdeckt, und echauffierten sich so lange über das Thema, bis es auch rechtskonservative Kreise erreichte und es schließlich bis in die BILD-Zeitung schaffte. Es ist nun Zeit, offenen Fragen zu beantworten.

 

Von Simone Rafael

 

Was steht in der Broschüre?

Es geht um Fallanalysen aus dem Bereich Kita-Arbeit, die Pädagog*innen, Träger oder Eltern vor Fragen stellen: Was tun, wenn bekannt wird, dass eine Kita-Erzieherin in der organisierten rechtsextremen Szene aktiv ist? Was tun, wenn ein Kind in der Kita Hakenkreuze zeichnet und sagt, zu Hause sei dies etwas Gutes? Wie damit umgehen, wenn Erzieher*innen oder Eltern flüchtlingsfeindliche oder rassistische Aussagen in der Kita vor Kindern treffen, geflüchtete Kinder oder Eltern direkt angreifen oder subtil ausgrenzen wollen? Wie lässt sich argumentieren, wenn Eltern sich darüber empören, wenn Beispiele von Familienvielfalt in der Kita thematisiert werden? Erläutert werden Gegenstrategien, die für alle Kinder in der Kita Vielfalt erlebbar machen: Demokratiepädagogik, vorurteilsbewusste und anti-rassistische Erziehung. Es geht darum, so formuliert es Professor Stephan Höyng im Interview: „Kindern Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.“

 

Warum empört das Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen?

Weil sie für Vielfalt und Demokratie nicht viel übrighaben, weil sie Rassismus propagieren wollen, statt ihm entgegen zu treten, und in geschlechtlicher Vielfalt ein Übel sehen, dass gegen heterosexuelle Familien gerichtet ist, statt ein Chance für ein glückliches Aufwachsen von Kinder, die selbst oder deren Familien nicht dem klassischen Familienbild entsprechen.

 

Aber im Internet steht etwas völlig Anderes?

Rechte Blogs arbeiten sich seit Oktober 2018 an der Broschüre ab. Ihre Methoden: Lügen, gezielte Missinterpretationen verkürzter Zitate, Einbettung in bei Rechten beliebten Hasserzählungen über die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Vorsitzende Anetta Kahane, etwa:  

  • 19.10.2018, rechtsextremer Blog „Philosophia Perennis“, Autor David Berger: „Kitas: Drohende Kinderdressur durch Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung“
  • 20.10.2018, rechtspopulistischer Blog „Journalistenwatch“: „Amadeu Antonio Stiftung vergreift sich an Kinderseelen“
  • 20.10.2018, rechtsextremer Blog „Halle-Leaks“, Autor Sven Liebig: „Der lange Arm der Stasi: Kahane-Stiftung will Kinder in Kitas dressieren“.

Die AfD interessierte sich dann auch für das Thema:

  • So kommentiert etwa der AfD-Hardliner-Richter Jens Meier: „Früh übt sich. Kahane-Stiftung bekämpft Rechtspopulisten jetzt in Kitas“.
  • Und ein zweiter AfD-Jurist und Hardliner, Stephan Brandner, assistiert: „Bundesregierung fördert linksradikale Agitation in Kindergärten - das ist politischer Kindermissbrauch und untragbar!“ #KrampfgegenRechts #AAS #IDZ #Kahane #AfD #nurnochAfD -> er sagt also, Einsatz für Demokratie und gegen Ausgrenzung ist "linksradikale Agitation".

Die neurechte „Junge Freiheit“ titelt dann am 2. November: „Wenn das Mädchen Zöpfe trägt“ (Autor: Fabian Schmidt-Ahmad).

Dann kommt die Erzählung über die Empörungskolumne von Gunnar Schupelius in der B.Z. (26.11.), Cicero (28.11.), schließlich in der BILD auf der Titelseite an (29.11.2018, Autoren: Ralf Schuler und Florian Kain).

 

Am BILD-Text wollen wir die Falscherzählungen exemplarisch auseinandernehmen:

 

BILD: „Um rechte Eltern aufzuspüren: Schnüffel-Fibel für Kita-Erzieher“.

Geht es in der Broschüre darum, rechte Eltern aufzuspüren? Nein, es geht um Fallbeispiele aus der Kita-Praxis, in denen Eltern oder Erzieher*innen selbst aktiv (!) durch rechtsextremes oder rassistisches Verhalten auffallen – und den Umgang damit.
 

Geht es darum, den Kindern oder Eltern politisch hinterher zu schnüffeln?

Nein, wie gesagt, es geht es geht um Fallbeispiele aus der Kita-Praxis, in denen Eltern oder Erzieher*innen selbst aktiv durch rechtsextremes oder rassistisches Verhalten auffallen – und den Umgang damit.
 

BILD: „In der Broschüre […] wird an Fallbeispielen erklärt, wie man vermeintlich rechtslastige Elternhäuser erkennt.“

Nein, es wird nicht erklärt, wie man „rechtslastige Elternhäuser“ erkennt. Es geht um konkrete Fälle aktiven rechtsextremen und rassistischen Verhaltens. Es geht darum, darauf zu reagieren, wenn etwa Diskriminierungen in der Kita geäußert werden und z.B. Kinder rassistisch begründet ausgeschlossen werden.
 

BILD: „Kinder aus völkischen Elternhäusern“ erkenne man so: „Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wir zu Haus zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert.“

Steht in der Broschüre, dass alle Kinder aus völkischen Familien -  das sind rechtsextreme Anhänger der völkischen Siedlungsbewegung in der Tradition des Nationalsozialismus – dass also alle Kinder aus völkischen Familien so aussehen? Nein, es wird ein konkreter Fall beschrieben, in dem dies so ist. Wird gesagt, Kita-Erzieher*innen oder andere Eltern könnten an diesem Dingen erkennen, dass es eine rechtsextreme Familie ist? Nein, es wird lediglich beschrieben, dass in diesem konkreten Fall die traditionellen Rollenbilder auf diese Weise vermittelt werden. Sie sind dabei nicht das Problem – das ist die rechtsextreme Einstellung der Eltern, sondern nur eine Beschreibung.

Übrigens ist die Gegenstrategie, die empfohlen wird, die Eltern zu einem Gespräch einzuladen. Nicht, ihnen die Kinder wegzunehmen, nicht die beim Verfassungsschutz zu melden oder sie wegen Kindeswohlgefährdung anzuzeigen, sondern, sie zu einem Gespräch einzuladen.
 

BILD: „“Fall II.2: Eine Mutter macht sich Sorgen, weil Flüchtlingskinder in der Klasse [sic] der eigenen Kinder aufgenommen werden. Sie fürchtet, das Bildungsniveau könne sinken. In der Broschüre wird eine Aussprache mit dem Tenor empfohlen: „Diese Sorgen sind unbegründet. Das wisse man dank der Forschung der ‚Migrationspädagogik‘“.

Nun, da es immer noch um Kitas geht, sind es natürlich keine Klassen, sondern Kitagruppen. Und die Migrationspädagogik, die die BILD sicherheitshalber in Anführungsstrichte setzt, also wissenschaftliche Forschung zu den Folgen von Migration, kommt tatsächlich zu dem Schluss, dass eine Vielzahl von Erfahrungshintergründen die Kinder fördert statt schadet. Die Quelle hierzu ist angegeben: Paul Mecheril u.a.: Migrationspädagogik,.  Weinheim und Basel, Beltz-Verlag, 2010.
 

Also, noch einmal: Werden Mädchen mit Zöpfen als potenziell völkisch bezeichnet?

Nein, es geht um einen Fall, in dem ein Mädchen aus einer bekannten völkischen Familie so beschrieben wird. Nirgendwo werden Mädchen mit Zöpfen unter Rechtsextremismus-Verdacht gestellt.

 

Wird dazu aufgerufen, dass „auffällige“ Eltern umerzogen werden sollen?

Nein, es wird empfohlen, das Gespräch mit Eltern zu suchen, wenn durch sie oder ihre Kinder diskriminierende und demokratiefeindliche Handlungen und Äußerungen passieren.

 

Fazit:

Durch gezielte Auslassungen, falsche Zitierungen und gewollte Missinterpretationen haben rechte „Alternativmedien“ den Eindruck erweckt, eine Broschüre zum Umgang mit konkreten Fällen von Rassismus und Rechtsextremismus wolle dazu anregen, die politische Einstellung der Eltern zu erfassen und zu kontrollieren. Dass dies von Massenmedien in Form der „BILD“-Zeitung und von einigen Politiker*innen ungeprüft übernommen wird, dass Aussagen getroffen werden, offenkundig ohne sich mit der Broschüre auseinandergesetzt zu haben, ist ärgerlich – und noch eine wohlwollende Interpretation.

 

 

Hier der Verlauf der Kampagne via Twitter: 

 

Wenn der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner die Handreichung als “übelsten politischen Kindesmissbrauch” bezeichnet, ist das nicht nur geschmacklos, sondern verharmlost auch Missbrauch. Brandner stellte bereits eine kleine Anfrage zur Broschüre im Bundestag. Quelle Screenshot

Kleinere AfD-Verbände sprangen auf den Diffamierungs-Zug mit auf. Quelle Screenshot

 

Auch Roland Tichy beteiligt sich an der Verbreitung der falschen Informationen. Quelle Screenshot

Auf David Bergers Blog „Philosophia Perennis“ kommt ein Professor Henning Zoz zu Wort, der gleich ein Verbot der Amadeu Antonio Stiftung fordern. Ein neutraler Akteur ist Prof. Zoz allerding nicht, er sitzt im Kuratorium der AfD nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Getwittert am 29.11.2018 um 00:01 Uhr. Quelle Screenshot

Und auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier vom völkischen Flügel hat nachts ein passendes Sharepic parat. Quelle Screenshot

 

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag beteiligt sich auch die CDU/CSU-Fraktion an der Debatte. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön aus dem Saarland verlangt, dass die Broschüre eingestampft werden sollte. Auch sie konzentriert sich in einer Stellungnahme beinahe ausschließlich auf das Beispiel mit den Zöpfen. Die Stellungnahme wird vom Twitter-Account der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag geteilt. Quelle Screenshot

 

Dass sich nun die CDU/CSU in die Debatte einmischt, freut den Online-Chef der rechtspopulistischen Zeitung „Junge Freiheit“. Quelle Screenshot

 

Nicht verwunderlich: Beatrix von Storch, die vor rund drei Jahren meinte, die Polizei solle an der Grenze auch auf Kinder schießen, möchte, dass nicht nur die Broschüre verschwindet, sondern gleich die ganze Stiftung.  Quelle Screenshot

 

 

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